OnlineItalien 01.2023

ITALIEN 15 D I E P H Ä N O M E N E D E S D R . D U D R O P Buch Jule Falk Andreas Funke, Gedichte Juliane Steinbach, Holzschnitte Laubsägefisch/ Maritime Seelen Selbstverlag Format 24 x 31 cm 40 Seiten 45 Euro Auflage 200 ISBN 978-3-9824801-0-7 steinbach@kuester-steinbach.de Jorgo Schäfer Watching With My Ears 20 Years Vision Festival, NY (ein Bilder-Lesebuch) Format 24 x 29 cm 60 Seiten 39 Euro Auflage 150 ISBN 978-3-9824801-1-4 jorgo@jorgo-art.de Jorgo Schäfer Watching with my Ears 20 Years Vision Festival New York Jorgo Schäfer Watching with my Ears 20 Years Vision Festival New York N E U ! N E U ! H e u t e : Z u r P h ä n o m e n o l o g i e d e s B ä u e r c h e n s Das Bäuerchen beeindruckt als eruptives, irgendwie charmantes und mit einer Geräuschsensation verbundenes Entweichen von Luft aus dem Magen eines Säuglings. Es ist gewöhnlich mit dem Ausdruck der Freude und Erleichterung der Eltern verbunden. Auch die Oma klatscht begeistert in die Hände: „Oh, jetzt hat sie/er ein Bäuerchen gemacht“. Die beim Bäuerchen entwichene Luft war zuvor, während des Schluckvorganges, in den oberen Verdauungstrakt des Sprösslings gelangt. Dort machte sie sich durch ein Druckgefühl bemerkbar und schränkte das kindliche Wohlbefinden ein. Die erfolgreiche Entlüftung des Magens durch das Bäuerchen stellt nun den Höhepunkt des Ernährungsvorganges dar. Während des weiteren Lebens und besonders der Adoleszenz wächst sich das Bäuerchen zum Bauern aus. Der wird gern von Jugendlichen, insbesondere männlichen Geschlechts, zum Beweis heraufziehender Manneskraft genutzt. Dabei berufen sich die Jungspunte auf mittelalterliche Tischsitten und namentlich den Theologen Martin Luther. Im Zeitalter allfälliger Youtubeisierung kann man sich davon im Internet überzeugen und sogar Tutorials zur gezielten Hervorbringung von Magenwinden besuchen. Junge Damen behalten zumeist die babyhafte Attitüde des Bäuerchens bei und versuchen selbst diese schamhaft zu unterdrücken. Doch lässt sich auch hier der allgemeine Trend zur Emanzipation nicht aufhalten, wie Anna du Rülpsqueen (37231 Aufrufe bei Youtube), Anke Engelke und etliche Nachahmerinnen beweisen. Dabei ist keineswegs gesichert, ob das aufmunternde Diktum des Martin Luther überhaupt für die Damenwelt galt. Ebenso ist unklar, ob darin der Grund zu erblicken ist, dass man zwar vom Bäuerchen und vom Bauern spricht, nicht aber von Bäuerin. Bäuerinchen für das Aufstoßen des Säuglings ist gänzlich unüblich. Überhaupt stellt sich die Frage, was das Aufstoßen, lat. ructus, mit dem Berufsbild des Landwirtes zu tun hat. Leisten der Deutsche Bauernverband und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft mit den genannten Tutorials einschlägige Lobbyarbeit, wird hier das Bäuerchen als westlicher Wert kultiviert und was bedeutet unter diesen Umständen „Bauer sucht Frau“? Und welche Rolle spielt der Hochschulsport der Universität Paderborn, an der sich die örtliche Jo gger-Gruppe „Die Bäuerchen“ nennt? Seltsam, seltsam. Zweifellos, das Bäuerchen ist eine liebevolle und wertschätzende Würdigung des Landmannes und seiner Lebensart. Im internationalen Kulturvergleich indes erfahren das Bäuerchen und seine elaborierten Formen höchst unterschiedliche Bewertungen. Der Spanier nennt sein Bäuerchen mitnichten campesinito, sondern regüeldo, und der Brite spricht von burp statt vom little farmer. Dem burp gebricht es allerdings an der poetischen Kraft des „Bäuerchens“. Und was in China in der Öffentlichkeit erlaubt zu sein scheint, gilt in Japan als absolut unschicklich. Das haben die Japaner mit der feinen bürgerlichen Gesellschaft des Westens gemein: in der FDP z.B. hört man niemals auch nur das kleinste Bäuerchen. Daher die verkniffenen Lippen von Marco Buschmann, der leitet alle Luft um und lässt sie ganz sachte hinten heraus. Ganz anders die Tzotzil-Maya in Mexiko: sie übertragen durch geräuschvolles Aufstoßen irgendwelche Dämonen auf Hühner als Opfertiere. Das findet in der Pfarrkirche San Juan der Gemeinde Chamula (Chiapas) als tägliches Ritual statt, wobei ein selbstgebrannter Zuckerrohr-Schnaps namens „Posch“ getrunken wird. Dazu stelle man sich vor, Kardinal Woelki würde im Kölner Dom tagein tagaus ein Zeremoniell ausführen, bei dem ein rituelles Bäuerchen die Dämonen des Sexualtriebes beschwörten. Und dazu reichte man selbstdestillierten Doppelkorn und Kölsch aus dem nahen FrühBrauhaus: ein ebenso seliges wie gnadenreiches Gebauere im XXL-Format. Einmal mehr bedauerlich, dass die lokale Herstellung von Bölkstoff durch die Wicküler-Brauerei schon vor vielen Jahren eingestellt wurde und in den über 80 Gemeinden Wuppertals keinerlei vergleichbare Ructus-Rituale stattfinden. Diese haben sich längst in die Zentren der örtlichen Gastronomie verlagert, wie erst unlängst beim Wuppertaler Labskaus-Slam im Restaurant „Auer Schule“ in Unterbarmen, Friedrich-Engels-Alle 185, zu beobachten und zu hören war.

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