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TAL
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DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“
R a s ü r c h e n b e i m B i e r c h e n
So dann und wann erscheint im Glasbierfachgeschäft des Ver-
trauens Olivia R., eine kleine nette Punkfriseurin, mit ihrem Werkzeug.
Mal ist Olivias Haupthaar grün, violett oder auch rabenschwarz. In jedem
Falle aber immer raspelkurz; ein englischer Rasen ist Wildwuchs dagegen.
Im Hinterraum des Schankraumes bietet sie dann für kleines Geld ihre
Dienste an. Die Ergebnisse sind mitunter verblüffend; „Karli“ etwa, ein
sächsischer Weinberg-Erbe, hopst anschließend als Inkarnation eines Hit-
lerjungen an den Tresen: Hinten Kahlschlag und vorne eine tolle Tolle.
Natürlich sorgt so etwas für Nachdenklichkeiten am „Elitetisch“,
wie Jo („Die Schuhbürste“) die gesellige Runde um den Chronisten mittler-
weile zu nennen pf legt. Mit der Frage, „Meinst Du, sie macht auch Intimfri-
suren“, eröffnet Doris H. den Reigen und gesteht sogleich, sie sei aber schon
rasiert. Janine B., die ihre Rübe auch gelegentlich in Olivias Hände gibt,
sekundiert. „Aber doch nicht ganz“, raunt sie und verweist auf die Bikinizo-
ne. Nun, die wird bekanntlich recht unterschiedlich definiert.
Hohe Zeit also für den Hauptstadtkorrespondenten von ITALI-
EN, dem Fachblatt für Feinschnitt mit Promille, dem Gestaltungsimperativ
im Intimbereich, einmal etwas konkreter auf den Venushügel zu steigen.
Schließlich ist nicht nur die Körper- sondern auch die Scham-
haarentfernung schon aus den frühen Hochkulturen in Mesopotamien (ca.
11. Jahrtausend v. Chr.) bekannt. Neben diversen Harzen, Fledermausblut
und Pech wurden hierzu gern auch scharf geschliffene Steine und Mu-
scheln verwendet. Im Europa der Neuzeit sieht die Sache etwas anders aus.
Zwar sind auch hier aus dem Hochmittelalter (ca. 1050 bis 1250) Darstel-
lungen von Komplettrasierten bekannt; ob und in welchem Ausmaß die
Haarentfernung üblich war, lässt sich daraus allerdings nicht schließen.
Ebenso kennen gewisse Kunstfreunde blanke Aktfotografien des frühen
20. Jahrhunderts. Spätestens in den von der Hippie-Bewegung dominierten
1970/80er Jahren erlebte die umfassende Körperbehaarung dann wieder
die ihr gebührende Aufwertung. Unterdessen jedoch weitet sich das neue
Schönheitsideal der Jahrtausendwende im Schlüpfer immer weiter aus. Ei-
ner Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2008 zufolge waren 88%
der weiblichen und 67% der männlichen Befragten an Muschi und Schnie-
pel rasiert. Ein Jahr später zogen bei einer Umfrage der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung schon 94% der Mädchen und 81 % der Jungs
blank. Buschbrand ist out!Doch zurück zur aktuellen ITALIEN-Befragung
am hauptstädtischen Südstern.
Sabine K. und SibylleBille T. verweigern überraschend die Aus-
sage: „Das geht dich gar nix an“! Das ist erstaunlich, denn normalerweise
sind beide keine so zögerlichen Frauen. Was für ein Frisürchen mag da wohl
so im Höschen stecken. Die Frage muss offen bleiben. Regina J. grinst sich
eins: „Soll ich mal mein Köfferchen mitbringen“? Emmilie M. (60) hingegen
wird eher unwirsch: „Das darfst Du doch eine alte Frau nicht fragen.“ Inge
V. (79) aus Charlottenburg lässt sich zumindest zu der aufschlussreichen Be-
merkung herab: „All zu struppig muss es ja nun nicht aussehen“. Immerhin
Karin M., Sabine S. und Ingrid T. bekennen sich zum magischen Dreieck.
Bei den fortgeschrittenen Jungs zieht Rüdiger „Rudi“ S. sofort
blank. Der schwule Rentner Frank S. fordert man möge ihm zur Beantwor-
tung „geeignetes Recherchepersonal“ vorbeischicken. Der Gummersbacher
Stefan H. drückt sich wie gewohnt verwaltungsmäßig nicht ganz klar aus.
Ferdinand G. ist zögerlich „Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll ohne sich
zu verletzen“. Ferdinand! Die Zeit der scharfen Muscheln ist vorbei! Regina
J. bietet ihm ihr Köfferchen an. Offen bekennen sich auch hier nur „KPD-
Bernd“ L. und der Korrespondent zu ihrem Wildwux und ihrer damit ver-
bundenen Hippie-Zeit.
Doch was heißt das alles nun für eine mögliche Geschäftserwei-
terung von Olivia R: ?
Vermutlich eher nix.
ti l mette