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Die meisten von Ihnen werden mich gewiß noch aus meiner
Zeit bei Klingenberger kennen, darüber ist nicht zuletzt an dieser Stel-
le viel berichtet worden. Nur wenigen Menschen dürfte hingegen be-
kannt sein, daß ich in meiner Jugend über den Nominativ in der Musik
promoviert und meinen Klavierschein bei Calvin Klostergott gemacht
habe. Der Umgang mit dem mir daraufhin vom Kulturamt zugeteilten
Tasteninstrument machte mich aber, wie ich im Laufe der Zeit erken-
nen mußte, ganz und gar nicht froh. Jeden Morgen mußte ich erneut
die Kontrapunktprüfung des Stützvirginals ausschalten, den Noten-
sammler leeren und die Fingersatzvorschlagsfunktion deaktivieren. Auf
Dauer war ich keinesfalls bereit, dergleichen mitzumachen, und setzte
konsequent den Konzertf lügel mit zwei Tasten durch (A und B). Das
war nicht ganz leicht für mich, weil ich nebenher auch noch der ehren-
amtlichen Tätigkeit als Säugetier nachging. Der Fachpresse entnahm
ich später, man habe mir dafür lediglich fünf Kopeken gezahlt. Weil ich
es nicht glauben wollte, widersprach ich: „Ich habe meine Momente,
aber ich habe mich nicht für fünf Kopeken weggeworfen!“
Vorsichtshalber überprüfte ich trotzdem mein Guthaben am
Klavier und mußte zu meinem Mißvergnügen feststellen, daß bis zu die-
sem Augenblick keinerlei Zahlungseingang erfolgt war. Das hatte eine
alarmierende Wirkung auf mich, denn schon in jenen Tagen war ein
Leben ohne die notwendigen finanziellen Mittel einigermaßen uner-
freulich. Ich sprach deshalb beim zuständigen Amt vor, auf daß mir
geholfen würde. Man hörte sich meinen Fall an, widerwillig zwar, doch
notgedrungen vorschriftsmäßig. Nach eingehender Prüfung der Akten-
lage schickte man mich schließlich mit einer Hammondorgel und einem
Pferd, das ja ebenfalls unentgeltlich als Säugetier tätig war, auf Tournee
durch die hinteren Gebiete. Man darf sich das nicht allzu komforta-
bel vorstellen. Das Pferd zog die tonnenschwere Hammondorgel, und
ich bezahlte das Pferd dafür aus eigener halbleerer Tasche. Wir hatten
auch Kinder oder so etwas. Wegen der finanziellen Belastung war es
unerläßlich, hin und wieder anzuhalten und in zweifelhaften Etablisse-
ments Konzerte oder zumindest etwas ähnliches wie Konzerte zu geben.
Wenn ich zu betrunken war, mußte das Pferd die Orgel „schlagen“, wie
wir seinerzeit zu sagen pf legten. So ging es wohl jahrelang, die exakten
Daten sind gelöscht worden. Was ich mir aber mit vierzehn nie hätte
träumen lassen: Die Sache ging gut aus, die Tournee war erfolgreich.
Geld blieb indessen keins übrig, das Pferd und ich verkauften daher
eines Nachmittags widerrechtlich die Orgel. Aus Abnutzungsgründen
dem Konzertbetrieb für immer entsagend, zogen wir uns, jeweils gut
versorgt, aufs Altenteil zurück. Was das Pferd inzwischen tut, weiß ich
nicht, ich jedenfalls rufe manchmal aus dem Fenster oder drücke Tas-
ten. Am liebsten ist mir das Ans-Glas-klopfen.
Wer nach all dem von mir enttäuscht ist, hatte falsche Erwartungen.
E i n P i a n i s t e n l e b e n
v o n E u g e n E g n e r
kittihawk