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TAL
IEN
DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“
S c h ö n e Ta g e m i t E m m i l i
(irgendwie auch eine kleine Hommage)
Man kann es nicht anders sagen: Emmili M. ist ein liebes
Mädchen! Zwar etwas menschenscheu und gelegentlich vielleicht auch
ein bisschen weltfremd. Lieb auf eine ganz spezielle Art eben. Und so
sind Treffen mit Emmili immer auch irgendwie etwas Besonderes.
So wie jüngst, als Emmili für ein halboffizielles Kundentref-
fen in einem georgischen Restaurant einen gutaussehenden Tischherrn
mit zweifelhaften Manieren benötigt. Und auf wen anders als auf den
Hauptstadtkorrespondenten von ITALIEN, dem großen Frauenverste-
her-Magazin, könnte da wohl ihre Wahl fallen? „Aber bitte ziehe nicht
diese Lederjacke an“, f leht sie, „sondern so wie Du auch zu einem Emp-
fang Deines Polizeipräsidenten gehen würdest“. Denn Emmili achtet
auf Stil. So lässt sie etwa bei ihren gelegentlichen Besuchen in des ITA-
LIEN-Mannes Lieblings-Glasbierfachgeschäft auch die Perlenkette weg:
„Die passt hier doch gar nicht rein. Was sollen denn die Leute denken“?
An bewusstem Tag des georgischen Ausf luges verzichtet sie dann über-
raschend darauf, ihrem erwählten Begleiter für diesen Abend selbst die
Garderobe heraus zu legen. „Ach, da vertraue ich Dir“. Na, mein Polizei-
präsident würde sich da schon wundern; doch Emmili ist es zufrieden.
Der Abend verläuft dann auch eher unspektakulär – sieht man einmal
davon ab, dass die russische Geburtstagsfeier im Nebenraum ständig
überstelzten Zulauf erhält und Emmili irgendwann traurig seufzt: „Ach,
diese Russinnen sind alle so schön“. Mhmm! Da kann sie schon durch-
aus mithalten und zum Glück stinkt sie nicht so wie ein ganzer Puff.
Leichte Verwirrung kommt erst beim Rücksturz an den Südsternkiez
auf, als Emmili plötzlich meint, aufgrund des üppigen Essens sei sie
doch ein wenig püstig. „Ich hätte mal besser noch einen Schnaps ge-
trunken“. Das Gesicht des Berichterstatters erstarrt in ungläubigem
Staunen. Denn gemeinhin ist Emmili alkoholischen Gemütsaufhellern
eher abhold. Also nichts wie rein in ein redaktionsnahes Glasbierfach-
geschäft, bevor sich die Maid zur Ruhe begibt.
Natürlich begann die Bekanntschaft mit Emmili M. weitaus
früher, und viele Jahre hat es gebraucht, sie in den Arm nehmen zu
können, um ihr die Last des Lebens etwas zu erleichtern, ohne dass
das Mädchen verstört zusammenzuckte. Bis heute denkwürdig ist denn
auch jener Augenblick eines Sommers auf der Terrasse eines längst nicht
mehr existierenden Südstern-Cafés. Aus einemGrund, den keiner mehr
weiß, riss es Emmili plötzlich dahin: „Ach Otto, jedes Gespräch mit Dir
ist wie ein Heiratsantrag. Ständig mache ich Dir Heiratsanträge“. Ernst
nehmen darf man das natürlich nicht. Allein der Gedanke an eine Um-
setzung oder gar an Flitterwochen würde sie furchtbar verschrecken.
Denn Emmili erschreckt sich gern oder macht sich Sorgen.
Nur wenn sie klagt, scheint sie wirklich glücklich zu sein. So etwa als
einmal ein gemeinsamer Gang in die Markthalle geplant ward. „Aber
ich habe gar nicht genug Geld für den Notfall dabei“. Notfall? Was
für ein Notfall könnte auf dem kurzen Weg eintreten? Plötzliches
Herzversagen? Heckenschützen oder gar ein Meteoriteneinschlag?
„Schuhgeschäfte sind immer ein Notfall“! Nun, abgesehen von den
Schuhgeschäften ging die Sache für alle Beteiligten letztlich gut aus.
Gelegentlich – wenngleich selten – betreffen ihre Sorgen auch mal an-
dere. So wie neulich, als Sabine S. aufgrund irgendeiner launigen Be-
merkung freundlich schüchtern aber bestimmt ermahnt wird: „Mach
lieber was Vernünftiges! Geh in Dich“! Wie soll Sabine S. das denn
schaffen? Da käme die Frau doch nie wieder raus.
Und so haben Treffen mit Emmili eben immer ihren ganz
eigenen Charme, den man schon nach kurzer Eingewöhnungszeit kaum
mehr missen möchte. Etwas schwierig wird es indes wohl in Kürze wie-
der werden, wenn die liebe Sonne den Winter endgültig in die Schran-
ken weist. Dann nämlich bekommt Emmili M. gewohnheitsmäßig ihre
Mai-Depression:
„Alles wächst, nur ich nicht“!