OnlineItalien 06.2023

10 ITALIEN NEULICH IM TV von Uwe Becker Als linksliberaler Kolumnist wollte ich mir am Samstag die Krönungszeremonie selbstverständlich nicht anschauen. Wer mich kennt weiß, dass mich dieser ganze Blödsinn nicht die Bohne interessiert. Aber aus Liebe zu meiner verstorbenen Großmutter habe ich es mir dann doch angeschaut. Tatsächlich schossen mir damals, bei der Übertragung von Dianas Beerdigung, Tränen in die Augen, aber das lag daran, dass ich für die unglückliche Prinzessin von Wales eine gewisse Affinität entwickelt hatte, und ihr Ende im Tunnel mich wirklich traurig machte, hatte ich doch die Hoffnung nie ganz aufgegeben, sie irgendwann glücklich zu machen - altersmäßig passten wir gut zusammen und 1997 war ich zudem Single. Allerdings hätte ich noch richtig perfektes Englisch lernen müssen, das blieb mir durch ihr plötzliches Ableben dann erspart. Am vergangenen Samstag war alles anders, dieses heilige und militärische Brimborium, vor und in der Westminster Abbey, unzählige Bärenfellmützenträger, eine goldene Kutsche mit goldenen Bänken - solche Bänke haben wir ja in Elberfeld auch, unsere sind aber viel bequemer und von innen beleuchtet, oh my Lord, wofür das alles? Gefühlt nagt die halbe englische Bevölkerung am Hungertuch. Nur zu gerne hätte ich meine Augen vor alldem teuren, unnötigen Krönungsquatsch verschlossen, aber ich wollte es ja stellvertretend für meine Oma betrachten. Ihr hätte es bestimmt sehr gut gefallen, sie ist ja im 19. Jahrhundert geboren, da lasse ich Milde walten. Oma wusste alles über die europäischen Königshäuser, da sie einige Wochenmagazine der Regenbogenpresse abonniert hatte. Heute stehen die Farben des Regenbogens statt für unseriösen Journalismus weltweit für Fortschritt, Aufbruch und Veränderung und als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht. Allerdings dient der Regenbogen einigen Zeitgenossen damals wie heute als Brücke für ihre verstorbenen Haustiere auf dem Weg in den Himmel, was ich persönlich nicht schätze. Aber egal, irgendwann war ich in der Stimmung, den Fernseher auszumachen, hatte dann aber wegen Großmutter ein schlechtes Gewissen und außerdem bricht mir ja auch kein Zacken aus der Krone. Und so ließ ich den Fernseher einfach im Hintergrund laufen und stellte mir vor, wie King Charles später auf dem Balkon ein Schild hochhält, auf dem „azgathebleibt“ steht. Nebenbei wusch ich Geschirr ab, brachte den Müll raus und kürzte im Bad meine Nasenhaare, was man halt samstags so macht, wenn einem die Zeit zu lang wird. Irgendwann hatte ich dann aber wirklich und endgültig von der hausbackenen und langweiligen Krönungszeremonie genug. Ausschlaggebend war die Szene, als der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, Queen Camilla auch noch ein Krönchen verpassen wollte, das ging mir als Diana-Fan eindeutig zu weit, ja, es war fast unerträglich mitanzusehen. Spontan spielte mein Hirn verrückt und ich sah eine wiedergeborene Lady Di wutschnaubend in die Kirche stürmen und mit englischer Härte und einem präzisen, spektakulären Scherenschlag dem Erzbischof von Canterbury die Krone aus den Händen spitzeln, die hiernach in tausend Stücke auf dem kalten Steinboden der Westminster Abbey zerbrach. In meiner Vorstellung wäre zudem Prinz Harry jubelnd aufgesprungen, hätte sich seiner Jacke entledigt und mit beiden Händen sein Hemd vom Körper gerissen, um seine Mutter mit nackten Oberkörper wild herumspringend hart zu feiern und dem Rest der Gemeinde den bösen Mittelfinger zu zeigen. Das war dann aber auch der Augenblick, in dem ich mir schnell ein eiskaltes Jever Pils, einen Teller mit leckeren selbstgebratenen Frikadellen vom Aberdeen Angus plus Düsseldorfer Löwensenf aus der Küche holte und auf Sky Bundesliga umschaltete. Inzwischen war es auch spät geworden, bereits nach halb vier, es stand aber überall noch 0 zu 0.

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