OnlineItalien 10.2022

6 ITALIEN DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“ F R I E D R IC H S T R A S S E 52, 4 210 5 W U P P E R T A L E-MAIL: K.HARDENBURG@WEB.DE • TEL: 0202 372 900 58 ÖFFNUNGSZEITEN: MO.-FR.10-18:30 UHR / SA.10-16 UHR … u n d s c h w e i g e d a n a c h f ü r i m m e r An diesem Abend steht im Glasbierfachgeschäft ein großer Auftrieb an: Die Wirtin Tatjana „Tati“ H. (vormals H.) ist in den heiligen Stand der Ehe getreten und will es nun so richtig krachen lassen. Selbst die gültige Währung für das große Ereignis wurde von Euro gegen quietschgrüne Einkaufs-Chips ausgetauscht. Bereits weit im Vorfeld wurden sie an die geladenen Stammgäste ausgegeben. Und auch wenn so die eine oder der andere zunächst nix damit anzufangen wusste („Ich wollte die schon wegschmeißen“) und erst einmal der Nachhilfe bedurften, erweist sich die neue, temporäre Währung allemal als sicherer als etwa Bitcoins und unterliegt keinen Börsenschwankungen. Der für das Buffet zuständige Koch, Norbert N. hat sich für das Event sogar eine neue Küchen-Uniform zugelegt. Ob des zu erwartenden Menschenauflaufs beschließen der Hauptstadtkorrespondent von ITALIEN, der literarischen Hochzeitstorte, und Bettina D. sich eine halbe Stunde früher auf den Weg zu machen, um noch einen soliden Draußen-Platz zu ergattern. Holla! Auf den Gedanken sind offenkundig auch andere gekommen. Immerhin reicht es noch für einen Tisch auf wackeligem Grund. Dann der zweite Rückschlag: Die Zapfanlage für des Korrespondenten Lieblingsbier streikt und ist weder durch Zureden noch Zutun umzustimmen. Somit ist er zum Fremdtrinken verurteilt. Und es kommen immer mehr Leute; selbst aus entlegenen Stadtteilen und sogar aus der fernen, brandenburgischen Uckermark sind sie angereist, um ihre Deckel zu bekleckern. Vermutlich würde eine Sondernutzungsgebühr für öffentliches Straßenland fällig, doch um diese Zeit ist nicht damit zu rechnen, dass eine zuständige Uniform um die Ecke schleicht. Als sich dann das Brautpaar in allerfeinstem Zwirn zeigt, steigt eine Wolke von Herzchen-Luftballons in den bewölkten Himmel auf. Nur mal gut, dass die „Letzte Generation“ das nicht sieht. Im Innenraum des Glasbierfachgeschäftes strapaziert unterdessen eine Band ihre Instrumente. In solchen Augenblicken ist von einem Besuch der Kachelabteilung abzuraten. Als in den Pausen wieder ein Durchkommen ist, kommt Mann aus dem Staunen kaum heraus. Vor dem Damenklo tanzen sich die Mädels warm, doch Zeit für ein Küsschen bleibt dennoch. Und der Erfrischungsraum der Jungs ist selbst kurz vor Mitternacht noch sauberer als zu ganz normalen Kneipenzeiten. Wo sind nur die ganzen Wildpinkler hin? Szenenwechsel: Am korrespondentischen Wackeltisch bekommt Bettina D. nach dem dritten Prosecco einen verträumten Blick: „Wenn ich das hier so sehe, kriege ich direkt Lust, auch noch mal zu heiraten“. Dem Berichterstatter wird flau um´s Ohr. Doch er ist gar nicht gemeint, es war nur eine kurze romantisierte Anwandlung. PUH! Glück gehabt! Für die nächste Showeinlage sorgt Sabine S., die sich am Buffet umgesehen hatte. Nach einem Biss in ihre Blätterteigrolle bekommt sie riesengroße Augen, wird puterrot, hustet und spuckt. Bevor ein Notarzt alarmiert werden muss, kommt wieder eine gewisse Ruhe in die Frau. Was war passiert? „Ssooo ssschaarffff“, haucht sie erschöpft. Tja, hätte sie mal besser zu guter deutscher Partykost gegriffen, statt neugierig zu einer orientalischen Spezialität, die „Tatis“ Freund*innen zwischen Norberts Gebrät geschmuggelt hatten. Am nächsten Tag ist dann wieder alles wie immer. Selbst fremdtrinken ist nicht mehr nötig. Was für ein kleines Stück Glück!

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