OnlineItalien 10.2022

ITALIEN 9 immanuelskirche bigband WattLöpptinNYCvonStephenOldvoodel B e t t e r S a f e T h a n S o r r y : V e r s i c h e r u n g e n g e g e n A l l e s u n d N i c h t s Das Prinzip einer Versicherung lässt sich ganz schön am Beispiel eines Reeders erläutern: Es ist besser, er besitzt von zehn Schiffen einen Anteil von 10%, als von einem Schiff einen Anteil von 100%. Wenn das zehn Reeder denken, schließen sie sich zusammen, nennen den Zusammenschluss Hapag Lloyd und läuten eine Glocke, wenn eines der zehn Schiffe auf dem Weg zu den Guano-scheißenden Pinguinen in Chile bei Kap Horn untergegangen ist. Jeder im Zusammenschluss besitzt dann immer noch 10% Anteile an neun Schiffen und keiner muss in den Schuldnerturm. Versichern kann man im Prinzip sehr Vieles, doch bei den allermeisten Ereignissen, vor allem bei denen, deren Eintritt man leicht in den Knien abfedern kann, wäre eine Versicherung ökonomischer Unsinn, denn die Organisation einer Hapag Lloyd ist nie ganz kostenlos. Das hindert allerdings niemanden daran, Versicherungen für sehr Vieles anzubieten, und in den USA, vielleicht sogar mehr noch als in Deutschland, finden sich immer wieder Deppen, die solche Versicherungsprodukte kaufen. Versicherungen gegen Reifenverschleiß am Auto zum Beispiel. Ein Reifen hält 30.000 Kilometer, kostet 250 pro Stück mit Montage, also 1.000 für das ganze Auto und alle zwei Jahre sind im Schnitt neue Reifen fällig. Eine Reifenversicherung kostet 100 im Monat und doch gibt es kaum einen Ami, der seine Autoreifen nicht gegen Verschleiß versichert hat. Man kann ja nie wissen. In New York City haben allerdings nicht so viele Leute ein Auto, doch auch den Autolosen lassen sich Versicherungsprodukte verkaufen, etwa eine Versicherung, dass die lieben Kinder pharmazeutisch auf der geraden Bahn gehalten werden können. Die schiefe Bahn heißt Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, oder mit Spitznamen auch Zappelphilipp-Syndrom. Außer in ihren Tiefschlafphasen verhalten sich Kinder schon mal so, dass ein sorgenvoller oder auch geschäftstüchtiger Blick ADHS entdecken könnte, und das in einem Umfang, der dringend behandelt werden muss. Der sorgenvolle Blick gehört zu den Eltern, der geschäftstüchtige zu den Ärzten, die wiederum, wenn sie zum Rezeptblock greifen, bei den Herstellern der auf dem Zettel notierten Medikamente Freude erzeugen. Die Freude der Pillenfabrik drückt sich unter anderem in ADHS-Kongressen auf Hawaii aus und sich dem Reiz dieser Inseln zu entziehen, schreibt der hippokratische Eid nicht ausdrücklich vor. Hawaii ist nicht ganz billig, entsprechend teuer die Medikamente gegen ADHS, und weil eine Krankenversicherung in den USA strukturell immer Deckungslücken aufweist, empfehlen Versicherungsvertreter immer eine Zusatzversicherung. Man kann ja nie wissen. Im Wissen um die Zusatzversicherung greift der Arzt dann gerne auch wiederholt zum Rezeptblock, was die Eltern beruhigt, denn nichts geht ihnen über die Gesundheit der eigenen Kinder. Ist der kleine Zappelphilipp erst einmal ruhiggestellt, sieht er oder sie leicht deprimiert oder verängstigt aus, wogegen Produkte wie Prozac oder Sarafem helfen. Solche selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer machen wieder putzmunter, wirken aber oft abführend, verstopfend oder sie erzeugen Hautausschläge. Beides ist Teenies ziemlich peinlich, muss also dringend behandelt werden, und so füllt sich die Pillenbox ziemlich schnell. In New York City sehen die Zahlen laut Fachzeitschrift Pediatrics wie folgt aus: 80% der Kinder von Eltern mit einer medizinischen Zusatzversicherung bekommen ADHS-Pillen, von denen wiederum 90% wenigstens ein Medikament gegen Depressionen, Angstzustände oder eine andere Stimmungs- oder Verhaltensstörung, und dann franst die Statistik ein wenig in die unzähligen Nebenwirkungen aus, die auf den Beipackzetteln der Pillenschachteln vermerkt sein müssen. Die Schulranzen der New Yorker Kinder klingen wegen der vielen Tabletten darin mittlerweile häufig wie Samba-Rasseln, aber mit aller Vehemenz sorgen sich die Erwachsenen darum, dass kein Heranwachsender jünger als 21 Jahre sich alkoholhaltige Getränke kaufen darf. Aber eigentlich bräuchte man sich darum keine Sorgen zu machen, denn so zugedröhnt, wie Jugendliche aus gut versicherten Elternhäusern in New York sind, dürfte ein Bier bei ihnen ganz unten auf der Wunschliste stehen. Ganz oben steht vermutlich der geheime Wunsch, mit dem ganzen Scheiß in Ruhe gelassen zu werden, oder mal einen Versicherungsvertreter richtig zu verprügeln.

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