OnlineItalien 06.2024

ITALIEN 15 DIE PHÄNOMENE DES DR.DUDROP Heute: Zur Phänomenologie des Oberstübchens Das Oberstübchen ist recht eigentlich ein Ober-Stübchen. Dies einmal vorab. Damit ist allerdings weder das Stübchen gemeint, in dem sich bisweilen der Ober aufhält, noch ein Gemach, das in Abgrenzung zu einer weiter unten gelegenen Räumlichkeit in einem höheren Stockwerk gelegen ist. Beim Oberstübchen handelt es sich vielmehr um ein Attribut für den am weitesten oben gelegenen Körperteil des Menschen, also den Kopf, namentlich dessen Inhalt. Vom Unterstübchen ist hingegen nie die Rede, man wüsste auch nicht, welche anatomische Region hiermit treffenderweise gemeint sein sollte. Etwa der Uro-Trakt ? Im Oberstübchen, so jedenfalls die Annahme des durchschnittlichen Zeitgenossen, spielen sich entscheidende Vorgänge des menschlichen Daseins ab: so ist immer wieder vom sogenannten „Denken“ die Rede. Tatsächlich aber ist die Stube im Kopf weder mit einem Schreibtisch ausgestattet, noch mit einem Sessel, einem Wandschrank oder einem Bett. Jedenfalls hat man davon noch nicht gehört oder gar irgendwelche Abbildungen gesehen: das Oberstübchen ist ein vollkommener Leer-Raum. Es gibt weder eine Tür noch ein Fenster, noch eine Lüftung. Demzufolge kommt nix rein und nix raus, keine Wärme und keine Kälte, kein Licht und keine Luft. Selbst renommierte Ausstattungshäuser halten sich da ´raus, IKEA und Möbel Höffner geben sich erst gar keine Mühe, Inventar für‘s Oberstübchen anzubieten. Umso mehr verwundert es, dass dem Oberstübchen ein durchaus wohlwollender Ruf vorauseilt: Zwar existieren Verbindungen zu optischen und akustischen Sensoren, tatsächlich scheinen sie jedoch im peripheren Nichts der mentalen Räume zu enden. Wie soll man sich da im richtigen Leben einrichten? Wie haben es die Teilnehmer des Dschungelcamps geschafft? Was haben sie ihren Oberstübchen zu verdanken, jenen Vakuum-Räumen oberhalb der Nasenlöcher? Und was ihren Unterstübchen, wo auch immer diese zu verorten sein mögen? Verfügt Oliver Pocher über ein Oberstübchen? Oder Prinz Harry ? Und die ganzen anderen Harrys, Harry Kane, Harry Potter, der Hol-den-Wagen-rausHarry etc. pp? Diese Fragen wurden bislang nie gestellt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Existenz des Oberstübchens ein frommer Wunsch zugrunde liegt, der Wunsch nach einer gut geordneten Innenausstattung mit effektvoller Technik. Denn Fakt ist: die Oberstübchen erweisen sich als keineswegs aufgeräumt, sondern als ausgeräumt und ungemütlich. Der Flohmarkt „Oberstübchen“ in der Mühlenstrasse der Kleinstadt Ladbergen legt davon beredtes Zeugnis ab. Auch die jüngsten Versuche, Oberstübchen in die Sphären künstlicher Intelligenz auszulagern, offenbaren lediglich Leere und Ödnis der ersteren. Auf der einen Seite etwa wird mit dem autonomen Fahren autonomer Kraftfahrzeuge die autonome Selbstentleerung des Oberstübchens besiegelt. Und andererseits stehen dem allfällige Bemühungen gegenüber, deren Inneneinrichtung durch eine forcierte Aufnahme geistiger Requisiten aus dem Fernsehen, dem Internet und den sozialen Medien zu renaturieren. Im Ergebnis werden die Bemühungen der informationellen Möbelpacker durch die einschlägigen Entsorgungsunternehmen gegen den Strich gebürstet: die ideellen Müllkippen wachsen noch schneller als die materiellen. Zwar gibt es auch hier Sammler und Sucher, die mit den Resten des entsorgten Inventars aus den cerebralen Hinterzimmern mentales Recycling betreiben – allein das alles bringt nix, da wird noch der größte Käse zum Fortschritt transformiert, z.B. in die Besiedelung des Mars‘. Da fehlt es den Himmelsstürmern in ihren Oberstübchen an einem Heizöfchen oder einem smarten Vindstyrka-Luftqualitätssensor aus dem Sortiment des oben genannten skandinavischen Möbelhauses. Leider sind auch die Wuppertaler längst dem allgemeinen Trend erlegen: das letzte funktionierende Ober-Stübchen, natürlich gelegen in der Ober-Strasse, gleich neben der Else-Lasker-Schüler-Schule, wurde vor einigen Jahren geschlossen - auf Dauer. Kein Wunder, dass die Erzeugung geistiger Produkte im Tal nun endgültig zum Erliegen gekommen ist und die letzten Quellen sinnlich durchdrungener Lebenshilfe versiegt sind.

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