OnlineItalien 12.2023

ITALIEN 7 Roof 66 in Washington, DC: Ein Motel im Kiez im Umbruch Das Motel 6 am Ortseingang der US-amerikanischen Hauptstadt Washington, DC lag über gefühlt Jahrhunderte weit draußen vor der Stadt an der Bundesstraße 50 zwischen Schlachthof und Gemüsegroßmarkt auf der einen Seite und der 1857 gegründeten Columbia Institution for the Deaf and Dumb and the Blind auf der anderen. Die Institution ist mittlerweile zur Gallaudet University geworden, die Bachelor-, Master- und Doktorwürden an Blinde und Gehörlose verleiht, und der Kiez durchläuft gerade einen Prozess, der als Gentrifizierung berühmt-berüchtigt ist. In dessen Folge werden etwa Niederlassungen des Großhandels durch Luxus-Läden ersetzt, Schlacht- und Zerlegebetriebe weichen den Restaurants, die das Fleisch mehr oder weniger gegart auf Teller legen und insgesamt schaut das Publikum eher durch Brillen von Warby Parker auf Gegenstände ohne Preisschilder. Das meint „teuer“. Rechts und Links der Läden entstehen Komplexe mit Luxuswohnungen, deren Pionier-Bewohnerinnen und -Bewohner mit entsprechenden Sonderangeboten in den Kiez gelockt werden. Weil ein Sonderangebot ein für den Käufer besonders günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis verspricht, der Preis für das LuxusApartment aus nachvollziehbaren Gründen nicht gegen Null laufen darf, muss die Leistung entsprechend gewürdigt werden können. Das geht bei Gentrifizierungen über eine griffige Abkürzung für den up-and-coming-Kiez. In New York wurden aus ChinaTown und Little Italy auf diese Weise Gegenden wie SoHo (South of Houston Street) oder NoLIta (Northern Little Italy) herausfiletiert, in Washington DC kamen die Immobilienmakler wegen der Lage nördlich der Massachusetts Avenue auf den Namen NoMa (North of Massachusetts Avenue). NoMa lief in den ersten Jahren etwas schleppender als erhofft an, aber man sollte auch realistisch bleiben und auf den Moment warten können, in dem der Scheinwerferkegel nationaler, wenn nicht gar internationaler Aufmerksamkeit eher zufällig über die Neuigkeit streift. Es muss dann gar nicht gut, darf also auch nur gut gemeint sein, so wie die Arbeiten des eigentlich in Los Angeles ansässigen Graffiti-Künstlers Mr. Brainwash (Künstlername), der 2015 für den Internationalen Frauentag auf dem Union Market in NoMa ein Wandbild voller Herzen geschaffen hatte, dazu die neben einem Bild von Charlie Chaplin gepinselte Losung „NEVER GIVE UP“ und zur Krönung noch das Motto „FOLLOW YOUR HEART“. Das Internet und hier vor allem Instagram, war voll von den Socken, soviel Weisheit, soviel Liebe. Kaum ein Promi ließ es sich nehmen, hier auch mal ein Selfie zu machen, und das Preis-Leistungs-Verhältnis geriet fortan selbst durch deftige Mietpreiserhöhungen nicht mehr aus dem Lot. Komplexe mit noch mehr Luxus-Wohnungen schossen aus dem Boden, 12 bis 15 Stockwerke hoch, denn höher als das Kapitol darf in der Hauptstadt kein Gebäude sein, und mittendrin überlebte irgendwie das Motel 6, das neben unschlagbar günstigen Zimmerpreisen und kostenlosem Parkplatz noch „Free WiFi“ anbietet. Dieses im Zeitalter der Hyperkonnektivität eher putzig wirkende Angebot findet seinen Platz auf einer riesigen Werbetafel auf dem Dach des nur zweistöckigen Motels, neben dem Wort „Motel“ und zweimal der Ziffer „6“. Im Volksmund der Gentrifizierten wurde daraus mittlerweile – die Tafel steht sehr fotogen auf dem Dach, also dem Roof des Gebäudes – das Motel Roof 66. Sollte das nun auf Instagram ähnlich Furore machen wie seinerzeit die Wandmalereien von Mr. Brainwash, dann könnte der Motel-Betreiber aber mal kräftig an der Preisschraube drehen.

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