OnlineItalien 01.2025

6 ITALIEN Luigi Mangione: Der Robin Hood von Manhattan sitzt hinter Gittern Eine selbst in satirischer Umgebung notwendige Bemerkung vorweg: Niemand sollte Selbstjustiz das Wort reden und die private Tötung eines Menschen ist unabhängig von seinem Arschlochindex nicht in Ordnung. Luigi Mangione ist ein 26-jähriger Mann mit sehr guter Erziehung und einer Anstellung als Studienberater an der Stanford University. Eines seiner prägenden Jugenderlebnisse war die Begegnung mit einer eher fahrlässigen Bemerkung des indischen Moralphilosophen Jiddu Krishnamurti, der nach ausgiebigem Konsum von vergorenem Mango-Lassi mal gesagt hat: „It is no measure of health to be well adjusted to a profoundly sick society.” Adorno hat das mit „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ übersetzt, aber er war hauptberuflich ja nicht Übersetzer. Luigi hatte den Satz so verstanden, dass Arschlöcher, also wirkliche Arschlöcher, final geschlossen gehören, weil es sonst um die Gesundheit der Gesellschaft nicht so gut bestellt sei. Für Gesundheit von Mitgliedern der Gesellschaft sollen in den USA privatwirtschaftliche Unternehmen sorgen, die nach dem Prinzip von Versicherungen funktionieren. Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen stehen Ausgaben für Maßnahmen gegenüber, die der Gesundheit der Versicherten dienen. Geld drucken dürfen die Versicherer nicht, wollen aber den Investoren möglichst große Kapitalrenditen ermöglichen. Je weniger Ausgaben, desto höher die Kapitalrenditen, jedenfalls bei gleichbleibenden Versicherungsprämien. UnitedHealthCare (UHC) ist ein solches Unternehmen, hat 140.000 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von $280 Mrd., also zwei Mio. pro Mitarbeitendem. Jeder dieser Mitarbeitenden ist gehalten, die Ausgaben so gering wie möglich zu halten, und dafür stehen ihm oder ihr im Wesentlichen drei Instrumente zur Verfügung. Die fangen alle mit „d“ wie doof an. Doof ist für die Versicherten die Ablehnung der Kostenübernahme für eine medizinische Leistung (deny), die Verzögerung der Übernahme (delay) und das Durchdrücken der Ablehnungen vor Gericht (defend). Für Patient*innen ist das manchmal mehr als nur doof und endet tödlich. Tödlich endete am 4. Dezember der Gang des UHC-Vorstandsvorsitzenden von seinem Hotel zu einer Veranstaltung für Investoren, die vom CEO wissen wollten, wie hart er mit der Umsatzrendite am Wind segeln wolle. Hart, sehr hart, hätte er vermutlich gesagt, hätte Luigi ihm keine drei Kugeln in den Rücken geschossen und ihn damit ermordet. Luigi hatte aus Rücksicht auf lärmempfindliche Umstehende einen Schalldämpfer montiert und für den Rest der Welt jeweils ein Wort auf die drei Patronen graviert: deny, delay, defend. Große Teile des US-amerikanischen Rests der Welt kamen die Worte aus eher schmerzhaften Gründen sehr bekannt vor und darum wurde aus Luigi im Handumdrehen ein Folk Heroe, ein Robin Hood gewissermaßen. Die Strafverfolgungsbehörden hatten eine andere Einschätzung von der Sache und drehten wie bekloppt an der Fahndungsdruckschraube. Auswertung von mehreren Millionen Stunden aus Überwachungsvideos ergaben ein fast vollständiges Bild von Tat und Täter, letzterer allerdings mit Hoodie und Coronaschutz etwas maskiert. Luigi konnte – erst zu Fuß, dann mit einem City Bike und schließlich mit dem Fernbus – bis nach Pennsylvania entkommen, wo er knapp eine Woche nach der Tat in einem McDonalds verhaftet wurde. Jemand hatte ihn verpetzt und möglicherweise, ja sehr wahrscheinlich, wird die Petze in seinem Leben unangenehme Erfahrungen mit einem Krankenversicherungsunternehmen machen müssen. Wie gesagt, wir wollen nicht der Ermordung von CEOs das Wort reden, die Unternehmensgewinne aus dem Leid anderer Menschen schöpfen. Sie tun es ja im Grunde nur im Auftrag der Aktionär*innen. Die Beileidsbekundungen in den sozialen Medien für die Hinterbliebenen des in New York von Luigi umgenieteten CEO ähnelten allerdings sehr dem Kondolenzschreiben der israelischen Regierung an die Witwe von Adolf Eichmann.

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