ITALIEN 13 rattelschneck BEST OF ERNST KAHL Ein schwerer Fall von Reisen (Teil 1) von Eugen Egner Wie ich so auf die Sekunde meines Todes zustürze, finde ich mich plötzlich mit schwerer Reisetasche an einem unbekannten Ort wieder und muß erkennen: „Ich reise!“ Vieles fürchte und hasse ich, Reisen, zumal so überraschendes, gehört unbedingt dazu. Diese momentane Reise ist über mich gekommen wie ein Verhängnis, das mich mutwillig herumstößt und in einem alten Hotel fern meiner Heimat stranden läßt. Die Dame an der Rezeption fragt mich besorgt: „Kann ich Ihnen helfen?“ „Ich ... habe das Reisen“, bringe ich gequält hervor. „Gut, daß Sie sofort hergekommen sind“, erwidert die Frau. „Bitte, machen Sie es sich bequem.“ Ich stelle die Tasche ab und sinke in einen Ledersessel. Im nächsten Moment ist die Empfangsdame bei mir, ein paar Formulare und einen Kugelschreiber in den Händen. Sie wirkt vertrauenerweckend, auf gewisse Weise erinnert sie mich an eine Frau, die ich einst gekannt habe, vielleicht eine meiner Ehegattinnen. „Wir müssen Ihre Krankenakte anlegen“, erklärt sie, während sie im Sessel gegenüber Platz nimmt. „Wie kommt das?“ frage ich hilflos. „Dieses Reisen?“ Die Antwort der Hotelangestellten verrät Sachkenntnis: „Reisen kann durch Neugier und anderen Leichtsinn ausgelöst werden. Manchmal sind berufliche Gründe die Ursache.“ Berufliche Gründe? Mir kommt in den Sinn, ich könnte etwa von sadistischen Arbeitgebern in der Welt herumgescheucht werden. Möglich ist alles. Die Frau spricht weiter: „Viele Menschen pflegen einen ungesunden Lebenswandel und fordern damit das Reisen geradezu heraus. Gehören Sie zu diesen?“ Nachgerade protestierend weise ich einen solchen Verdacht von mir. Dann erkundigt sich die Dame: „Gibt es Vorschädigungen? Irgendwelche Ortsveränderungen in der Kindheit?“ „Gott, ja, da gab es das eine oder andere...“ Sie sieht mich ernst, aber wohlwollend an. Gewiß kann ich dieser Frau vertrauen. In ihrem ruhigen, angenehmen Tonfall redet sie mir gut zu: „Beim Reisen ist es wichtig, sich ganz ruhig zu verhalten, den Körper zu versteifen, nichts anzufassen und an zu Hause zu denken. Denken Sie immer nur: ‚Es geht vorbei, es geht vorbei.‘ Haben Sie keine Angst, eine Reisepsychose tritt nicht zwingend auf. Es muß bei Ihnen keineswegs so verlaufen wie zum Beispiel bei Hölderlin.“ Sie bittet mich, das Anmeldeformular auszufüllen und ihr meine Krankenversicherungskarte zu geben, mit der sie dann zur Rezeption geht. Ein paar Minuten später habe ich die Schreibarbeit erledigt, erhebe mich und gebe die Papiere ab. Fortsetzung nächste Ausgabe
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