OnlineItalien 02.2023

ITALIEN 9 WattLöpptinNYCvonStephenOldvoodel F a k e i t u n t i l y o u m a k e i t : D i e b e m e r k e n s w e r t e Vi t a d e s Vo l l e y b a l l s t a r s G e o r g e S a n t o s Wer kennt ihn nicht: Siegfried Fischer, genannt „Fischerle“, hauptberuflich Gauner und selbsternanntes Schachgenie in Elias Canettis 1936 erschienenen Roman „Die Blendung“. Der Leser ist geblendet und weiß gar nicht, ob Fischerle nun wirklich ein Großmeister ist oder ob er nicht einmal das Damengambit oder die kleine Rochade fehlerfrei beschreiben kann. Der zeitgenössische Leser konnte allerdings den Massenmedien entnehmen, dass ein offensichtlich gescheiterter Kunstmaler mit auffällig frisierter Oberlippenbehaarung zum Heilsversprechen aller Deutschen aufgestiegen war und Canettis jüngere Leser durften erkennen, dass Fischer wirklich ein Schachgenie gewesen sein könne. Ein Robert James „Bobby“ Fischer beherrschte seit den späten 1950er Jahren die Schachwelt in den USA und besiegte 1972 Boris Spassky in einem legendär gewordenen Weltmeisterschafts-Match in Reykjavík. Ob der literarische Fischer nun mit dem wirklichen Bobby etwas gemein gehabt hat, wollen wir mal dahingestellt sein lassen. Der Wunsch, sich selbst in die schönsten Pirouetten oder gar übermenschliche Fähigkeiten hineinzuträumen, ist mit ziemlicher Sicherheit aber weder unter- noch unmenschlich. Zudem können Tagträume wie zum Beispiel beim Abwaschen der sprichwörtlichen Teller stark motivierend wirken und zu Millionenvermögen führen. Die USA und vor allem New York sind für sowas ein fast schon ideales Pflaster, auf dem sich Immigranten nicht danach fragen lassen, was sie sind, sondern auf dem sie darstellen, was sie sein wollen. Wenn es nicht auf Anhieb klappt, ist das kein Problem, dann greift die Sekundärtugend der Beharrlichkeit und man tut so, als sei man wer, bis man wer ist: Fake it until you make it. Anfang Januar ist George Anthony Devolder Santos als Abgeordneter des 3. Wahlbezirk im Bundesstaat New York für seine Aufgaben im US-amerikanischen Repräsentantenhaus vereidigt worden. Er vertritt für die Partei der Republikaner den auf Long Island liegenden Landkreis Nassau und hatte sich in einer knappen Entscheidung gegen den Kandidaten der Demokraten durchgesetzt. Möglicherweise hat ihm dabei sein fast schon erstaunlicher Lebenslauf geholfen, jedenfalls hat er im Wahlkampf immer wieder betont, wie er es aus ganz einfachen Verhältnissen stammend schon in jungen Jahren zu Wohlstand und Ansehen gebracht habe, obgleich nun wirklich alle Karten gegen ihn gemischt gewesen seien. Seine jüdischen Großeltern seien nur sehr knapp den Nazi-Häschern in Richtung Brasilien entwischt und damit dem sicheren Tod entronnen. Seine katholische Mutter habe ihn nur mit Windeln bekleidet über den Rio Grande in die USA gebracht und als Putzfrau unter wirklich erbärmlichen Bedingungen geschuftet, damit der Bub eine ordentliche Ausbildung bekomme. Schon auf der Grundschule habe er angefangen, das Vertrauen der Frau Mama zu entgelten und immer nur Einser mit nach Hause gebracht. Sein außergewöhnliches Geschick beim Volleyballspiel hätte ihm ein Vollstipendium am Baruch College der City University of New York verschafft, ein MBA-Studium an der New York University (NYU) und exzellente Abschlüsse hätten ihm schließlich alle Türen an Wall Street geöffnet und Mama hätte nach Antritt einer gutbezahlten Stelle bei der Citi Group den Putzlappen an den Nagel hängen können. Schwul sei er übrigens auch. Dass die New York Times auf die Idee kommen könnte, der bemerkenswerten Vita mal ein wenig nachzupopeln und dass dabei die Popler kaum affirmative Interessen haben könnten, darauf ist George in seinen kühnsten Träumen nicht gekommen. Es ist aber so geschehen. Erst einmal durch Anrufe bei Baruch, NYU und der Citi Group, aber auch durch einen Anruf bei George. Wie hoch denn in Prozent seine Ausbeute bei Schmetterschlägen von der Freiwurflinie gewesen sei, wollte ein hinterlistiger Redakteur wissen und wurde anlässlich der Antwort „fast 100%“ so richtig misstrauisch. So kam der Ball ins Rollen. Mittlerweile ist offensichtlich geworden, wie wirklich phantastisch der Lebenslauf von George gewesen sein muss, doch statt ihn in Bausch und Bogen zu verdonnern, haben sich seine Parteifreunde entschlossen, den Lebenslauf als Zeichen des Strebens von George zu werten und nicht etwa als eine Auflistung der Vergangenheit oder des Seins. Immerhin sei er ja mittlerweile als Kongressabgeordneter wirklich erfolgreich, gehöre damit zur Funktionselite des Landes, ganz gleich, mit welchen Behauptungen er sich in diese Kreise hineingemogelt habe. Bleibt eigentlich nur noch das Volleyballspiel. Das Action Committee der Republikaner im Landkreis Nassau hat jetzt eine Schar von Trainern engagiert, George von seiner gegenwärtigen Moppeligkeit hin zu einem wirklichen Athleten zu trainieren, ihm etwas Ballgefühl, Koordination und allgemeine Geschicklichkeit beizubiegen und das Tröpfchen Aggressivität, das einen wirklichen Volleyballstar auszeichnet: Fake it until you make it. Die New York Times meldete jüngst, er habe bereits einige Aufschläge übers Netz gebracht.

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