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TAL
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daß sie gegessen werden konnten. Ich war im Nu damit fertig und fragte
mich, ob es das alles wert gewesen sei.
Nicht ohne Melancholie zu empfinden, sah ich aus dem Kü-
chenfenster. Da war die alte Straße. Jemand hatte alte Häuser in den
Schnee gestellt. Im Hintergrund liefen pechschwarze Gestalten herum
und entzogen sich der Begründung durch die Vergrößerungszange. Bei
genauerem Hinsehen wurden weitere Gestalten sichtbar, die sich vorher
in den grauen Mauern der Häuser verborgen hatten. Eine von ihnen,
ein offenkundig schnauzbärtiger Mann mit Melone auf dem Kopf, trug
einen kaum zugeknöpften Übergangsmantel. Es schienen keine Frauen
unter den an Schornsteinfeger und Revolverhelden erinnernden Figu-
ren zu sein, die sich da im Winter auf die Haupteinkaufsstraße hin-
auswagten. Je länger ich hinsah, desto infamer wurde ihr Gesichtsaus-
druck. Dies war nicht der Zeitpunkt, hinauszugehen und neue Freunde
zu gewinnen.
W i n t e r n a c h t m i t N u d e l n
v o n E . E .
Nicht der Oberbürgermeister, sondern ich erwachte und sah
auf meinen (nicht seinen) Reisewecker. Es war ein Uhr morgens: Zeit,
Nudeln zu essen. Die Küche befand sich im Zustand der Auskühlung,
ich mußte den Wintermantel des Oberbürgermeisters anziehen. In der
Hoffnung, ein wenig Wärme damit zu generieren, schaltete ich das alte
Transistorradio ein (ich verstand nun einmal nichts von Chemie). Na-
turgemäß wurde es jetzt noch kälter, und ich schaltete das Radio aus.
Noch halb schlafend, wünschte ich, Mädchen mit Häubchen
brächten Hühnchen oder Brathähnchen, doch nichts dergleichen ge-
schah. Die Nudeln in der alten Kasserolle waren mindestens so kalt
wie die Küche und mußten erwärmt werden – am besten mit dem alten
Elektroherd, so daß auch die Raumtemperatur zunahm. Also nahm ich
mittels Schalterdrehung eine Herdplatte in Betrieb und leitete die Er-
wärmung der Nudeln ein. Eine ähnliche Szene wäre auch in Rußland
denkbar gewesen. Draußen hielt der kalendergetriebene Winter über
Nacht an. Das von den alten Glühbirnen ausgehende Licht f lackerte
stark, ich wußte: Das war das Irresein der Lampen, die Fachleute nann-
ten es albernerweise Luminuminosa. Wild drehte ich an der Fassung,
bis die Beleuchtung sich stabilisierte. Nichtsdestoweniger „schrieb man
Winter“, wie sich kürzlich eine Sprachkraft beim mehrfach reformier-
ten Kultursender ausgedrückt hatte. ‚Ich schreibe jetzt Nudelnaufwär-
men‘, dachte ich beim Rühren. Meine individuelle Natur wollte, daß
bei diesem sehr schwierigen Vorgang einige Nudeln aus der Kasserolle
geschleudert wurden und auf dem Fußboden landeten, wo sie nichts
mehr galten. ‚Die Mahlzeit verringert sich‘, wurde mir klar, doch ich
rührte weiter.
Geräusche von draußen empfahlen sich meinen Gehörgän-
gen. Kehrten die Toten wieder? Nein, die Lebenden räumten Schnee.
„Um ein Uhr morgens?“ fragte ich die Nudeln. Zu meiner Überra-
schung antworteten sie, es sei bereits sieben. Versuche, meine Schlaf-
dauer daraufhin neu zu berechnen, scheiterten. Das Nudelnaufwärmen
erforderte meine gesamte Geisteskraft. Schließlich waren sie so warm,
ernst kahl
B I L d e R , d I e W I R n I c h T V e R s T e h e n ( T e I L 7 )