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TAL
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WattLöpptin
NYC
vonStephenOldvoodel
H o t D i g g i t y , D o g Z i g g i t y – B o o m
„Hot Diggity, Dog Ziggity – Boom”, wer kennt sie nicht, diese
Zeilen aus dem Schlager von Perry Como aus den späten 1950’er Jahren,
den vermeintlich unschuldigen 50’ern? Generationen von Poststruktu-
ralisten später wissen wir freilich: Es geht um Sex. Um Sex geht es auch
im Ballett, ähnlich verquetscht wie im Schlager, doch mit deutlich hö-
her gezogenen Augenbrauen. Hoch wie die Brauen von Georgi Melito-
novitch Balanchivadze, als stilbildender Choreograph der USA im All-
gemeinen und des New York City Ballet im Besonderen besser bekannt
unter George Balanchine. Balanchine hatte zwar hohe Augenbrauen,
aber wenig Berührungsängste zur Popularmusik, vielleicht am besten
abzulesen an der Vielfalt seines Œuvres, das von Choreographien des
wirklich Ernsten wie Stravinskys Feuervogel und dem Brahms-Schön-
berg Quartett bis zu den leichten Stoffen reichte und den ganz seichten.
Man denke bei den Leichten nur an Vincenzo Bellinis La Sonnambula
und Norma, bei den Seichten vor allem an Schlager von Pjotr Iljitsch
Tschaikowski, Freddy Breck oder eben Perry Como. Ein Potpourri aus
Como und Tschaikowski bildet das musikalische Rückgrat des Balletts
„Union Jack“, das Balanchine erstmals 1976 zum Jubiläum der amerika-
nischen Unabhängigkeit von der britischen Krone auf die New Yorker
Bühne brachte und in dessen Regieanweisung zum Song „Hot Diggi-
ty...“ in freier Übersetzung aus dem Englischen zu lesen ist: „Ein von
einem Knaben geführter Esel zieht einen Karren mit fünf Mädchen auf
die Bühne. Sie springen vom Karren und tanzen einen Reigen, wäh-
rend Knabe und Esel am Rande stehend zuschauen.“ So ist Ballett und
Regieanweisungen werden in New York so durchgehend beachtet wie
das Parkverbot an Hydranten. Im Mai vergangenen Jahres starb Geor-
gio, der Esel, der es einschließlich der Premiere auf hunderte fehlerfreie
Aufführungen des Union Jack gebracht hatte. Die Regieanweisungen
des bereits 1983 verstorbenen Balanchine achtend, wurde sofort nach
der Georgios Beerdigung ein Casting zur Nachbesetzung der Rolle ein-
geleitet. Castings – das wissen wir mittlerweile aus Funk und Fernsehen
– gleiten gerne Richtung Desaster ab und was immer in den Ställen an
westlichen Ende der 48th Street für Theater- und Filmproduktionen an
Eseln bevorratet wird, erwies sich rasch als für die Zwecke des Ballets als
untauglich: zu störrisch, anal undiszipliniert, ins Publikum schauend,
you name it. Im Februar dann Erleichterung in den Produktionsbüros
des New York City Ballet, denn, so ergab nochmaliges Hinsehen, die
historisch kritische Gesamtausgabe von Balanchines Werken erlaube
hinsichtlich der zur Debatte stehenden Regieanweisung auch „Pony“
und bei Ponies ist die Auswahl für das Casting halt größer. Während
der noch kalten Märzwochen wurde man schließlich fündig: Spanky,
ein schwarzweiß geschecktes Shetland Pony mit wahnsinnig langen
Wimpern, planbarer Verdauung und einem goldigen Gemüt. Span-
ky stört sich auch nicht an den ebenso zahlreichen wie verquetschten
Anspielungen auf die Hintergründe seines Namens, selbst wenn eini-
ge Witzbolde aus dem Parkett mit Fundstücken aus der Fetischtruhe
winken. Spanky versteht sogar was vom Dreivierteltakt und stellt mitt-
lerweile während des „Hot Diggity...“ die Hinterläufe auf Standbein,
Spielbein, wiegt die Mähne betont gegen die Eins und scharrt mit rechts
vorne Synkopen. Es scheint, als würden Spanky und das New York City
Ballet einander mögen.
rattelschneck