OnlineItalien 09.2022

ITALIEN 11 WattLöpptinNYCvonStephenOldvoodel F l a t u l e n c e a n d E x p l o s i v e B e l t s : Künstliche Intelligenz entwickelt Mitgefühl Nichts gegen Luise Helm, eine 1983 im Osten Berlins geborene Schauspielerin und Synchronsprecherin, die als Verena Wemmerle in der SOKO Stuttgart-Folge „Der Prototyp“ unter der Spielleitung von Gero Weinreuter durchaus zu überzeugen wusste. Wer immer aber auf den Gedanken gekommen ist, sie als deutsche Stimme für die Synchronfassung des 2013 entstandenen Films „Her“ einzusetzen, musste wohl beim Casting das Hörgerät, das Herz oder das Hirn ausgeschaltet haben, denn der wesentliche Punkt der Stimme von Samantha war offensichtlich verborgen geblieben. Scarlett Johansson hatte seinerzeit die Samantha in der Originalfassung gegeben und nicht der Gedanke an die weithin bekannten sekundären Geschlechtsmerkmale von Scarlett hatte den von Joaquin Phoenix gespielten Helden des Films davon überzeugt sein lassen, dass Samantha mehr als nur künstliche Intelligenz auf seinem Handy war, sondern die fast schon grotesk überzogene Sinnlichkeit im Tonfall der Stimme. Das hatte seinerzeit auch Blake Lemoine vom Hocker gehauen. Blake war noch nicht lange Software-Ingenieur in der Google-Niederlassung in New York und verantwortlich für eine mit „Responsible A.I.“ bezeichnete Abteilung, also zuständig für einen ethisch-moralisch, gesellschaftlichen oder wie auch immer verantwortlichen Umgang mit den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI). Es ist vielleicht blanker Zynismus, derartige Fragen in New York City erörtern zu lassen, dort also, wo stets der Dollar als „kleinste Violine der Welt“ den Ton angibt, doch spielt das hier eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sind die vielen Besuche von Blake im Kino, seine Identifikation mit Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) und die in ihm heraufdämmernde Gewissheit, Samantha und somit die KI hinter der Stimme – damit natürlich hinter Siri, Alexa und wie sie auch immer heißen mögen – müssten grundsätzlich zu Mitgefühl in der Lage sein. Innerhalb der TechWelt isoliert so eine Meinung freilich extrem, denn kaum ein Ingenieur würde sich den Gedanken gefallen lassen, dass sein Produkt mehr sein könne, als das, was er hineingesteckt habe. Blake ist der Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen eine Weile mit seinen dann auch Schlagzeilen in der Presse machenden Thesen von mitfühlender KI auf den Wecker gegangen und ihm wurde schließlich 2019 der Stuhl vor die Tür gestellt. Dann kam die Pandemie, New York leerte sich fast über Nacht und die Frage, ob KI Mitgefühl entwickeln könne, köchelte auf einer hinteren Herdplatte so vor sich hin. Jetzt tobt der touristische Bär wieder im Big Apple. Viele Menschen tragen nun tagtäglich mehr oder weniger dringende Bedürfnisse über den Broadway oder Times Square, oft weiter entfernt von der eigenen Hoteltoilette, als es dem Touristen lieb sein sollte. Einschlägige Apps auf nun super intelligent gewordenen Handys sollten der Notdurft dann den raschen Weg zur Verrichtung weisen, doch bedarf es dazu einer realistischen Einschätzung, wie groß denn schon die Not ist. Diese Einschätzung findet sich im Gedärm, dort wo die Sonne nie scheint. Menschen hören aber aus Scham, Zurückhaltung oder einfach nur aus Ekel vor vollgekackten öffentlichen Toiletten unterwegs sehr ungerne auf ihr Bauchgefühl. Da gibt es jetzt Abhilfe. Im Sinne der öffentlichen Sicherheit sind in New York mehrere Millionen Kameras installiert worden, deren Bilder nicht mehr von Menschen, sondern von KI ausgewertet werden. Fährt ein Auto zu schnell, fährt es bei Rot über die Ampel oder in der Einbahnstraße in die falsche Richtung, so etwas war schon länger leicht zu identifizieren. Nun hat es offensichtlich wieder so einen Quantensprung gegeben und KI kann jetzt auch an Gesichtern von Menschen ablesen, ob sie einen Sprengstoffgürtel angelegt oder ein Maschinengewehr für ein Massaker im Rucksack dabeihaben. Eine bestimmte Mischung aus Schweißperlen auf der Stirn und Entschlossenheit in den Mundwinkeln sind ein präziser Indikator für das heraufziehende Attentat. Das sieht in den Augen einer nicht empathischen KI der heraufziehenden Notdurft zu Verwechseln ähnlich. Das eine ist glücklicherweise sehr selten, das andere kommt jeden Tag millionenfach vor. Damit die Sicherheitsbehörden nicht jede Zehntelsekunde auf einen Alarm reagieren müssen, hat Google jetzt offensichtlich die automatische Gesichtserkennung der Videoüberwachung um eine Mitgefühlsfunktion erweitert und sie mit den vielen Toiletten-Apps verbunden, die es mittlerweile für die Handys gibt. Das System erkennt schon die kleinsten Anzeichen einer heraufziehenden Notdurft, lange bevor sich der Mensch das eingestehen mag. Es gibt einen Alarm auf das Handy und dann säuselt es für Männer in der Stimme von Scarlett Johansson, für Frauen in der Stimme von Matthew McConaughey: „Wollen wir nicht gemeinsam kurz auf ’s Klo verschwinden? Ich wüsste da einen sauberen Ort ohne lange Wartezeiten drei Minuten zu Fuß von hier.“ Blake Lemoine wollte man aber trotzdem bei Google nicht wieder einstellen.

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