ItalienOnline 0708/2014 - page 14

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WattLöpptin
NYC
vonStephenOldvoodel
P e e r P r e s s u r e a n d A l l o w a n c e
Das Taschengeld ist in seiner juristischen Dimension etwas
älter als sein pharmakologischer Gegenspieler, die Antibabypille. Wäh-
rend des Wirtschaftswunders nahm die volkswirtschaftliche Bedeutung
des Taschengeldes dramatisch zu, denn wirtschaftswundernde Eltern
hingen ihren noch geburtenstarken Nachwuchsjahrgängen Schlüssel
um die Hälse und erbaten sich finanziellen Ablass vom schlechten Ge-
wissen. Das führte dann rasch zur juristisch relevanten Frage, ob die
Entgegennahme von Geld aus Händen Minderjähriger nicht zu schwe-
bend unwirksamen Rechtsgeschäften führen würde. Denn grundsätz-
lich kann man mit eingeschränkt geschäftsfähigen Menschen keine
gültigen Verträge schließen, auch nicht solche über eine Bluna oder die
neue Single von T-Rex. Man erfand den Taschengeldparagrafen, der be-
detet: Kaufverträge auch mit nur eingeschränkt geschäftsfähigen Perso-
nen sind gültig, solange deren Leistung-Gegenleistungs- Beziehung eine
gewisse finanzielle Höhe nicht übersteigt, oder kurz: Kaltgetränk oder
Vanilleeis ja, Stereoanlage oder Vespa nein.
Mehr als nur eingeschränkt geschäftsfähig sind in New York
die Mitglieder der Zunft der Rechtsanwälte, ja, sie müssen es sein, denn
die juristische Ausbildung ist mindestens ebenso teuer, wie es Büro-
räume in Manhattan sind. Die Konkurrenz ist groß und folglich der
Druck sich geschäftlich neue Nischen zu erschließen, denn traditionelle
Felder wie Scheidungen, Schadenersatz oder Nachbarschaftsstreit gel-
ten als überweidet. Ein ganz neues und lukratives Feld kommt da der
darbenden Zunft gerade recht, und eine zwar noch nicht rechtskräftige,
weil derzeit noch angefochtene Entscheidung eines Familienrichters in
Manhattan, lässt anwaltliche Herzen derzeit deutlich höher schlagen.
Der Richter urteilte im März, dass das Taschengeld – auch
amerikanische “Allowance” genannt – sich von einer von den Eltern
gewährten Vergünstigung hin zu einem subjektiv-familienrechtlichen
Anspruch entwickelt habe, ähnlich dem Anspruch von Ehegatten auf
Unterhaltsgewährung. Mehr noch, die Höhe der Allowance habe dem
sozialen Status im Rahmen von Vergleichsgruppen wie Kindergarten-
oder Klassenverbänden durchaus angemessen zu sein. Eine willkürliche
Zurückstellung des Kindes durch Kürzung des Taschengeldes könne
zu bleibenden psychischen Schäden führen, zu Diskriminierung in
der Gruppe und damit zu bleibenden Schäden, die sich bis ins hohe
Rentenalter negativ im Einkommensintegral niederschlagen könn-
ten. So was sagt man in Rechtsstreitigkeiten gerne, denn das Honorar
des Anwalts wird nach der Streitsumme bemessen und statistisch wie
praktisch sind Einkommensintegrale von Angehörigen wohlhabender
Schichten so was wie ein Jackpot. Es herrsche, so das Urteil, zwar kein
Auskehrungszwang, das heißt nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel
müssen tatsächlich auch für die Allowance der Kinder ausgegeben wer-
den, doch dürfe die soziale Adäquanz nicht andauernd und wesentlich
unterschritten werden. Nicht wenige Kanzleien richten sich derzeit auf
einträgliche Klagen von Kindern gegen ihre Eltern ein. Peer Pressure,
also der Druck von Seinesgleichen, lässt Kids nicht nur stets einander
ähnliche modische Vorstellungen hinsichtlich von Kleidung entwi-
ckeln, sie folgen auch gerne und fast schon synchron anderen Trends
und je luxeriöser, desto besser und am allerbesten stellt man alle seine
Peers in den Schatten.
Für Kinder im Schatten, also aus einkommensschwächeren
Haushalten, scheint der gesellschaftliche Fortschritt in den USA im
Hinblick auf das Taschengeld schließlich ebenso verheißungsvoll zu
verlaufen, wie für die an einkommensschwächeren Haushalten regelmä-
ßig uninteressierten Rechtsanwälte. Das Stichwort ist hier “collective
bargaining”, also die zwischen Interessensverbänden durchgeführten
Verhandlungen. Hier meinte das genannte Urteil, dass Höhe von Ta-
schengeld nicht nur Ausdruck einer sozial wie auch immer gearteten
Angemessenheit sein müsse, sondern auch individuell oder eben ge-
meinschaftlich verhandelbar sei. Sollte das Urteil Rechtskraft erlangen,
werden in nicht allzu ferner Zukunft Gewerkschaftssekretäre in Schu-
len und Kindergärten die Kleinen zu Verhandlungsgemeinschaften in
Sachen Taschengeld organisieren. Die Antibabypille hat allerdings auch
in den USA dafür gesorgt, dass es nicht mehr so viele Kinder sind.
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