ItalienOnline 12/2014 - page 6

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TAL
IEN
DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“
Heiligabend ab 22 Uhr
of fen, keine Küche!
1. Weihnachten zu!
Silvester & 1. Januar zu!
M e i n e F r e u n d e e s s´ i c h n i c h t
Berlin, so trompete die hauptstädtische Presse zu Novemberbeginn, sei
„das Paradies für Veganer“. Wenn dem so ist, dann ist der Südstern-Kiez
unterdessen vermutlich die Pforte zu diesem embryophytalen Paradies.
Bereits seit guten drei bis vier Jahren etwa gibt es in der Fichtestrasse das
urgesunde „no milk today“-Café. Seit Neuestem wirbt man dort nun mit
dem Hinweis „Yes! Ve gan!“. In der Gemüse-Szene ist eben auch US-Prä-
sident Barack Obama vor Verballhornungen nicht sicher. Unmittelbar
vorn am Südstern hat sich das vegetarisch-vegane Restaurant „Seerose“
eingenistet. Bekanntlich sind Seerosen selten einjährig sondern meist
ausdauernde krautige Pflanzen. Da kann noch was auf uns zukommen.
Die ganz hippen Kohlköpfe indes treffen sich zum Morgen- oder Nach-
mittagskaffee auf der Körtestrasse in der Bäckerei „Kiez Vegan“. Dass
dort immer noch die gleichen Teigrohlinge angeliefert werden wie in der
vorherigen Backstube scheint sie dabei nicht sonderlich zu stören. Denn
dort ist man technisch ganz auf der Höhe und bietet Vegan mit W-Lan.
Gleich um die Ecke, im Nachbarbezirk Friedrichshain gibt es seit einem
Jahr zudem den veganen Supermarkt „Veganz“. Käse- und Fleisch(ersatz)
produkte und nahezu alles andere was man aus Supermärkten so kennt,
gibt es hier in veganer Ausführung: Selbst einen veganen Truthahn mit
Füllung kann man kaufen. Wenn das nicht ganz toll ist.
Nun ist das mit dem Paradies ja immer so eine Sache und gegenwärtig
weiß offenbar noch niemand so genau wie viele der humanoiden Eu-
karyoten in Deutschland sich eigentlich den Zugang dorthin erkauen
möchten. Während die eine Organisation deren Zahl zum Weltvegan-
tag am 1. November mit „schätzungsweise 300.000“ angibt, vermeldet
eine andere zeitgleich stolz „rund 800.000“. Ein für den Soja-Anbau im
Paradies nicht ganz unwesentlicher Unterschied. Einig aber sind sich
alle darin, dass „ein gewöhnliches Stück Kuchen bedeutet, eine Kuh
eine Stunde und ein Huhn acht Stunden zu misshandeln“. Und deshalb
schert es sie wenig, dass der Mensch von Natur aus eigentlich als Omni-
vore (Allesfresser) konstruiert ist. „Ich esse nichts, was ein Gesicht oder
eine Mutter hatte“, heißt die Parole. Über daraus entstehende Mangel-
schäden ist sich die Wissenschaft noch uneins. Die ganz harten aus der
Szene der Bio-Deutschen haben aber ganz andere Sorgen: Die beginnen
etwa da, Hund und Katze auf pflanzliche Kost umzustellen. Dem Ver-
nehmen nach arbeitet die Heimtierindustrie aber schon daran. Doch
auch vegane Medizin sowie Baustoffe und Farben für die Wohnungsre-
novierung gibt es nicht.
Abgesehen von der optischen Veränderung des Kiezes begann die un-
mittelbare Begegnung des Hauptstadtkorrespondenten von ITALIEN,
dem Salatblatt für bizarres Wissen, mit dem neuen Trend vor einigen
Monaten als Stefanie „Steffi“ B. ihm im Vorgarten des nahegelegenen
Glasbierfachgeschäftes vorschlug, er möge sich doch in ihren Wind-
schatten setzen, auf das ihm beim Kippendrehen nicht immer der Tabak
wegflöge. Eine durchaus charmante Idee mit kleinem Schönheitsfehler.
So wurde ihm denn eine Einladung zu den ersten Matjes des Jahres, die
Herbert M. auf den Tisch bringen wollte, schlicht ausgeschlagen: „Als
echte Hamburgerin müsste ich natürlich Matjes mögen. Aber ich bin
doch jetzt vegan!“. „Ach Quatsch“, meint indes Steffis Freundin, Chris-
tine P., „das ist nur eine Laune, das legt sich wieder“.
Unvollständig wäre dieser Bericht natürlich, gäbe es im veganen Berli-
ner Paradies nicht doch noch eine erotische Komponente. Und so gibt
es mit „Other Nature“ denn am benachbarten Mehringdamm Deutsch-
lands einziges Fachgeschäft für vegane Sextoys. Nein, Nein, Nein, mit
Bananen oder Karotten treiben sie es da nicht. Vielmehr, so wird versi-
chert, ist alles streng ökologisch und Kondome und Gleitgels enthalten
keine tierischen Zusatzstoffe; Peitschen werden aus recycelten Fahrrad-
schläuchen gefertigt und die von Künstlern gefertigten Dildos sind ga-
rantiert ohne giftige Phthalate.
„Na ja“, meint der Essener Kleckerkoch Fredinand G., „aber Oral-Sex
fällt da jedenfalls schon mal aus“.
Wer weiß, vielleicht ist Vegan ja auch das neue Viagra. Denn fortpflan-
zen sie sich ja irgendwie. Und das prächtig.
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