OnlineItalien 12.2022

ITALIEN 9 WattLöpptinNYCvonStephenOldvoodel Y o n k e r s , N Y u n d B r o n x , N Y : F e u d a l i s m u s i m I n t e r n e t z e i t a l t e r Das Städtchen Yonkers grenzt gleich nördlich an die Bronx, einem der fünf Stadtteile von New York City. Der Bronx an Hässlichkeit in nichts nachstehend teilt Yonkers mit ihr auch die Wurzel seines Namens als Teil der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegründeten Kolonie „New Netherland“, obwohl streng genommen die Bronx ja nach Jonas Bronck, einem schwedischen Auswanderer, benannt ist. Yonkers heißt so, weil es als Teil von New Netherland von „jungen Kerls“ be-landwirtschaftet wurde, die im Preußischen als Junker bekannt sind. Junker – einen detaillierten Ausflug in das Erbrecht wollen wir dem Leser ersparen – waren als Großgrundbesitzer in vielen Gegenden Europas der Grund, warum Schweden, Deutsche, Holländer, Norweger, Dänen überhaupt erst in die Neue Welt aufbrachen. Sie wollten dem Feudalismus entkommen, der sie an die Scholle fesselte, ihnen politische Partizipationsrechte vorenthielt und auch ansonsten ziemlich Scheiße war. Den Junkern zum Andenken hat man in der Bronx das Yankee-Stadion gebaut und in Yonkers freut man sich, wenn die Yankees mal nicht gewinnen. In der Bronx sagt man hinter vorgehaltener Hand, Yonkers käme nicht von Junker, sondern von „Jan Kaas“, dem generischen und auch beleidigenden Namen für alle, die fietsen oder bromfietsen. So war das vor dem Internet. Jetzt hat man eher gemeinsame Interessen, was damit zu tun hat, dass Kapital bis vor ganz Kurzem gar nicht mehr wusste, wo es sich denn gewinnbringend anlegen sollte. Krypto fiel durch, der Aktienmarkt glich eher einer Achterbahnfahrt und öffentliche Anleihen waren zwar mündelsicher, aber aufgrund mickriger Verzinsung nicht so der Brüller. Nun meinte Herr Putin im Februar, es gäbe keine Ukraine, nur ein großes Russland, und menschliches Leid verdeckt seither fast vollständig den Blick auf mögliche Gewinne, denn Ackerland ist weltweit fast über Nacht wieder sehr kostbar geworden. So kostbar, dass es sich in den USA mittlerweile zu einer eigenen Investitionsklasse gemausert hat, in der sich eine Handvoll sehr reicher Menschen einbringen, aber eben auch Menschen wie du und ich, Menschen mit eher überschaubaren Einkommen in Yonkers und der Bronx. Sie können ein Teil ihres Ersparten in einem sogenannten Private Equity (PE) zusammenlegen und auf diese Weise namhafte Summen an Kapital aufhäufen. Mit diesem Kapital lässt sich dann Landbesitz erwerben, vorzugsweise dort, wo die auf dem Land ansässigen Menschen die durch eine steigende Nachfrage explodierenden Kosten für Grund und Boden nicht mehr bezahlen können. Das sind vor allem Gegenden im Mittleren Westen in Bundesstaaten wir Nebraska, den Dakotas, New Mexiko, Wyoming oder Arkansas. Land alleine macht noch keinen Kapitalertrag, da ist vorher noch eine Menge landwirtschaftlicher Arbeit zu erledigen, oft Knochenarbeit. So trifft es sich prima, dass die allermeisten Menschen, denen der Boden unter den Füßen für den Erwerb zu teuer geworden ist, für sich persönlich keine anderen Perspektiven sehen, als auf der Scholle zu bleiben, notfalls auch als Mieter. Das klingt eher nach was Kurzfristigem, ist es aber nicht, denn Landwirtschaft rechnet sich nicht von Jahr zu Jahr oder von Quartal zu Quartal, sondern eher über längere Zeiträume, auf Latein „Dekaden“. Entsprechend müssen aus PE-Sicht die Verträge ausgestaltet sein. Niemand mag es offen aussprechen, aber Bedingungen in den Verträgen erinnern doch sehr an feudale Abhängigkeiten zwischen Lehnsherren und -damen auf der einen Seite und KnechtInnen auf der anderen. Das mag auch der Grund sein, warum sich gerade in Yonkers und der Bronx in jüngster Zeit eine erstaunliche Anzahl von Kapitalorganisationen gegründet haben, die als Großgrundbesitzer im Mittleren Westen tätig sind: Man ist einfach neugierig, wie sich Feudalismus aus der Position des Stärkeren anfühlt, ob es wirklich so etwas wie das ius primae noctis gibt, wie hoch der ersatzweise zu zahlende Stechgroschen sein müsste und ob sich die Vertragspartner wirklich nichts sehnlicher wünschen, als den Lehnsherren und -damen die Gurgel durchzuschneiden. Nicht, dass es ganz ohne Idealismus auf Seiten der PEs abginge. Im Gegenteil, es gibt schon eine immense Neugier auf das Landleben, auf die unmittelbare Erfahrung von Säen, Hegen und Ernten, auf den Dreck unter den Fingernägeln und die müden Knochen nach einem langen Tag auf dem Acker. Mit Webcams lässt sich da schon ein fast authentischer Eindruck vermitteln und wem das dann doch zu langweilig wird, dem schneiden Computerprogramme rasch eine Highlight-Reel zusammen, Betonung stark auf Ernte.

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