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6 I

TAL

IEN

DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“

„V i e l L i e b c h e n t a g “

Ob man es nun will oder nicht: Am Valentinstag – einem

der wichtigsten Tage der Blumen- und Schokoladenhändler – kommt

man kaum vorbei. So auch in diesem Jahr. Da lädt etwa das Herz-Jesu-

Kloster zu einem „garantiert kitsch-, schnulzen- und herzchenfreien“

Gottesdienst für Singles. Die St. Marienkirche hingegen bietet einen

„romantischen“ Gottesdienst mit Segnung und Salbung. Und danach

dann ab zur Kuschelparty in der Kreuzberger Hasenheide. Und auch

im redaktionsnahen Glasbierfachgeschäft verkündet die Anschlagstafel

„Rüdigers Valentins-Party“. Und Rüdiger „Rüdi“ H. lässt kaum eine Ge-

legenheit aus, alle und jeden heftigst einzuladen: „Und bringt alle eure

Freunde mit“! SibylleBille T. ist pragmatisch: „Nein, Rüdiger, das willst

Du nicht wirklich! Das kannst Du gar nicht bezahlen“!

Gleichwohl sorgt das Ereignis auch am Biertisch des ITALI-

EN-Hauptstadtkorrespondenten mehrfach für Vorfelddiskussionen.

Stefan H. aus Gummersbach versteigt sich gar dazu, Ingrid T. die Ver-

lobung anzutragen, auf dass sie ihn doch begleiten möge. Zum Zeichen

seines guten Willens schnorrt er ihr gleich auch noch Tabak ab, um

sich eine Kippe zu drehen. Ein geradezu unglaublicher Vorfall! Eine

Woche später indes ist alles wieder anders und die Zusage wird wie-

der aufgehoben, da er wohl doch nicht erscheinen werde. Damit ist die

exilierte Bonner Rechtsanwältin entehrt und verlangt nun nach einem

„Kranzgeld“. Zwar wurde der zugrundeliegende Paragraf 1300 bereits

im Jahre 1998 ersatzlos aus dem Gesetzbuch gestrichen (DDR = 1957);

aus den weiterbestehenden §§1297 – 1302 allerdings lässt sich ein Scha-

denersatzanspruch durchaus begründen. Sabine S. ihrerseits schwankt

ständig zwischen heller Begeisterung und warmen Gedanken an ihre

heimelige Küche. Und alle gemeinsam buhlen sie um die Anwesenheit

des ITALIEN-Mannes. Der allerdings bleibt gewohnt standhaft: „Geht

mir weg mit so´m Zeugs“. „Ach“, gibt SibylleBille hinter vorgehaltener

Hand die Parole aus, „wenn Suse kommt, kommt Otto auch“. Nur mal

gut, dass Otto offenbar weiß, dass Susanne „Biker-Suse“ N. für diesen

Tag ganz andere Pläne hat.

Gleichwohl kommt es an bewusstem Tag in der Betriebskan-

tine von ITALIEN, dem muntersten Herzblatt zwischen Wupper und

Spree, zwischen Britte S. und dem Chronisten dann überraschend

zu einem Tauziehen. Britte gewinnt und hat somit nun Anspruch

auf den Escort-Service durch den „Robert Redford der Körtestraße“.

Im Glasbiergeschäft steppt der Bär; nahezu alle ITALIEN-Kebsweiber

sind da: Am Tresen macht SibylleBille ein Mufflongesicht, der Grund

bleibt unklar. Neben ihr beschäftigt sich Helga B. mit ihrem Weinchen

und dreht dem munteren Treiben den Rücken zu. Daneben wiederum

hockt Stefan H. und erweckt den Eindruck, als säße er in der U-Bahn;

schnorrt bei Britte allerdings sofort Tabak. Was ist mit dem Bengel pas-

siert, der sonst immer schreit, man möge doch die Lüftung einschalten?

Ist er eventuell doch noch resozialisierungsfähig? Wie auch immer, das

Kranzgeld für Ingrid T. ist jedenfalls gerade wieder gestiegen. Völlig

überstelzt im langen Schwarzen rauscht Regina J. durch die Tür. Da

staunt auch glatt der Hahn im Korb. Party-Ausrichter Rüdiger H. ist

denn auch in seinem Element und wuselt herum – und das ist gut so!

Der Kleingärtnerin Britte S. fallen die üppigen Rosen auf dem Tresen

ins Auge; interessanter jedoch ist das Buffet. Zwischen kaltem Braten

und so thront eine Magnumflasche Jägermeister – „Rüdis“ Hauptnah-

rungsmittel im Glasbierfachgeschäft. Irgendwie hat das Stil.

Und wer ist nun verantwortlich für das ganze Gedöns? Die

Frage ist nicht klar zu beantworten. Vermutlich der Bischof Valentin

von Terni, der der Überlieferung zufolge seinerzeit mehrere Soldaten

traute, die eigentlich unverheiratet zu sein hatten, und ihnen dabei Blu-

men schenkte. Völlig zu Recht wurde er daraufhin im Februar 269 ent-

hauptet. Folglich wurde der Valentinstag im Spätmittelalter (ca. 1250-

1500) denn auch „Vielliebchentag“ genannt.

Und irgendwie ist es im Glasbierfachgeschäft heute noch so.