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I

TAL

IEN 9

D i e u n d i s z i p l i n i e r t e n F l u g s c h ü l e r

v o n E u g e n E n g e r

Am Ende der Landschaft liegt der gemalte Himmel, und ge-

nau dort entdeckt der Abgesandte der Oberen Flugbehörde etwas Ent-

setzliches.

Als Abgesandter der Oberen Flugbehörde durchmaß ich

auf dem Weg zur Flugschule die Landschaft, deren breite Front den

Raum nach beiden Seiten bestimmte. Den Texten verschiedener Hin-

weisschilder entnahm ich, dass etwas vorging in dieser Landschaft. Auf

einem Schild stand „Gelände bleibt“, was zwar beruhigend wirkte, doch

immerhin die Möglichkeit einer in Betracht gezogenen Veränderung

anklingen ließ; andere wie „See verlegt“ oder „Berg erhöht“ indessen

zeugten von bereits erfolgtem menschlichen Eingreifen in die Natur.

Eigentlich ging es mich nichts an, trotzdem nahm ich innerlich Anteil.

Es hielten sich Menschen in der Landschaft auf, zuerst dachte

ich an Missionare, weil man an die ja immer zuerst denkt, aber es wa-

ren dann doch keine, sondern Landschafter, als solche zu erkennen an

ihren Staffeleien, Paletten und sonstigen Malutensilien. Um den Ein-

druck eines bescheidenen Pilgers bemüht, trat ich ohne Scheu zu ihnen,

infolge einer unverkennbaren Aufgeregtheit ihrerseits nahmen sie mei-

ne Gegenwart jedoch gar nicht zur Kenntnis. Es wurde angelegentlich

über etwas debattiert, das in seiner Ungeheuerlichkeit geeignet schien,

die Grundfesten jeglicher rechtschaffenen Wirklichkeitsauffassung zu

erschüttern. Dabei handelte es sich, wie ich heraushörte, um das Ansin-

nen gewisser Leute, eine neue Bahnlinie quer durch die Landschaft zu

errichten. Die den Landschaftern verhassten Befürworter dieses Vorha-

bens wurden mit Sätzen zitiert wie „Die Verlegung der Gleise entspricht

der Wirklichkeit“ oder „Irgendwelche Vorbereitungen des Geländes

sind nicht erforderlich, man kann Gleise überall verlegen“.

Schon war ich drauf und dran, mich mit den Landschaftern

solidarisch zu erklären, da entstand ein Geräusch und eine Bewegung

in der Luft. Alle erhoben ihre Augen und gewahrten in mittlerer Höhe

ein dunkles Objekt, ein zweimotoriges Flugzeug, welches zielstrebig auf

den gemalten Himmel des Hintergrunds zusteuerte.„Die Flugschüler!“,

riefen die Landschafter aus. „Womit wollen sie nunmehr ihre große

Schuld noch vermehren?“ Das waren also die Flugschüler, um derent-

willen ich hier war? Dann war diese Maschine eine flugschuleigene und

gehörte in meinen Zuständigkeitsbereich. Was führten sie im Schilde?

Sie konnten nicht einfach mutwillig herumfliegen, damit verletzten sie

sämtliche Vorschriften und handelten sich eine strenge Bestrafung ein.

Gebannt verfolgten wir das Flugzeug. Um keinen Millimeter wich es

von seiner Bahn ab, keinerlei Anstalten unternahm sein Pilot, um nicht

auf den Himmel zu prallen. Schon war es zu spät zum Wenden – ich

hielt die Luft an. Um Gottes Willen! Wollten sie denn wirklich …

In der nächsten Sekunde durchschlug die Flugmaschine mit

einem Knall das Himmelsgemälde und verschwand. Nun waren die

Flugschüler auf der anderen Seite, wo nach landläufiger Auffassung der

totale Unsinn herrschte. Der konnte, musste und würde nun durch das

Loch herübergelangen. Ich hörte schrille Entsetzensschreie, darunter

meine eigenen.

B I L D E R , D I E W I R N I C H T V E R S T E H E N

V O N E R N S T K A H L