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Angemessene Kleidung ist beim Betrachten von Kraftfahrzeu-
gen vonnöten. Auch eine Karriere in der Politik ist ohne sie kaum denk-
bar.
Bevor ich zu einem neuen erschütternden Abenteuer aufbrach, nahm ich
schnell ein leichtes Sommerjackett aus dem Kleiderschrank im Garten
und zog es an. Mir war, als hätte es früher meiner Mutter gehört. Für
modebewusste Leser sei noch hinzugefügt: Der dünne weiße Stoff war
mit stilisierten großen blauen Blüten bedruckt. Zu meiner weiten grünli-
chen Hose passte das Muster schlecht, doch würde das erfahrungsgemäß
niemanden interessieren. Für gewöhnlich wurde ich ignoriert.
Dieser Umstand gab mir sehr große Freiheit, ich konnte bei-
spielsweise unbemerkt verarmen und sterben – oder vorgenanntes Ja-
ckett auf der Straße tragen. Genauso gut hätte ich in einem kurzen Le-
opardenfelljäckchen und grellem Make-up losziehen können (vielleicht
nächstes Mal). Mir lief die Nase, ein untrügliches Zeichen dafür, dass
etwas geschehen würde.
Als ich dann draußen war, wollte ich nicht bloß einfach an der
Straße stehen und die verschiedenen Arten von Kraftfahrzeugen beob-
achten. Deshalb ging ich zu einer Wahlveranstaltung. Essend und trin-
kend lauschte ich dort den Reden, es war furchtbar.
Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sprach mich am Wurststand die
Kandidatin der „Hoffentlich kommt der Tod schnell und schmerzlos
(am liebsten sanft)“-Partei an und fragte, ob ich ihren Wahlkreis über-
nehmen wolle. Sie hätte wahrscheinlich jeden gefragt, daher auch mich.
Obwohl ich es schmeichelhaft fand, von ihr wahrgenommen zu werden,
lehnte ich das Angebot ab, denn eine politische Karriere kam für meine
Person überhaupt nicht in Frage. Als Begründung brachte ich vor, in
Kürze aus der Welt austreten zu wollen. Dafür erntete ich Verständnis
und war die Sache in allen Ehren los.
Dummerweise tropfte mir etwas Bratensoße aufs Jackett, so
dass zwei große braune Flecken entstanden. Verärgert lief ich zur nächs-
ten Toilette. Im Vorraum wollte ich versuchen, die Soßeflecken mit Was-
ser und Seife zu entfernen. Ehe ich damit beginnen konnte, kam eine
ältere Dame herein, die das gleiche Jackett wie ich trug. Sie riet mir vom
Auswaschen der Flecken ab, denn dadurch würde alles in der Welt noch
schlimmer.
Schnell setzte ich die Brille auf, um sicherzustellen, dass nicht
etwa mein Spiegelbild mit mir redete. Es war in der Tat eine ältere Dame,
und sie trug das gleiche Jackett wie ich, aber ohne Flecken. Wir kamen
ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, dass sie ihr Jackett ebenfalls dem
Kleiderschrank in meinem Garten entnommen hatte. Damit war der
Beweis erbracht: Die in dem Schrank aufbewahrten Kleidungsstücke
verdoppelten sich, wie schon seit Langem vermutet wurde.
Kaum konnte ich es erwarten, die Medien darüber zu infor-
mieren. Zuletzt verriet mir die besagte Dame noch, sie habe soeben einen
Wahlkreis übernommen. Nunmehr sei sie Kandidatin der „Hoffentlich
kommt der Tod schnell und schmerzlos (am liebsten sanft)“-Partei. Ich
gratulierte ihr und brachte mein Jackett zur Reinigung. Für diesen Tag
hatte ich genug erlebt.
D i e s e n s a t i o n e l l e J a c k e t t d o u b l e t t e
v o n E u g e n E g n e r
B I L D E R , D I E W I R N I C H T V E R S T E H E N
V O N E R N S T K A H L