ItalienOnline 10/2014 - page 6

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TAL
IEN
DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“
H A R R Y V O M H O M B Ü C H E L
E i n e Ta n z m a u s b r i n g t S c h w u n g
i n s L e b e n
Im fußläufigen Glasbierfachgeschäft hat die Gemeinde dies-
mal ITALIEN-frei und kann sich also benehmen wie sie will. Einige
erschreckt das: Warum? Warum? Warum heißt Kathrin M. und ist eine
neuseeländische Tänzerin rheinischer Abkunft. Vielleicht liegt es dar-
an, dass man sich rasch versteht?
Doch beginnen wir vorn: Neulich nämlich traf der Haupt-
stadtkorrespondent auf seinem samstäglichen Weg in die Markthalle
dort vor einem Café auf Helmut „Poker-Helmut“ H. mit einer jungen
Maid beim gemütlichen Käffchen sitzend. Natürlich hält man diese für
eine Enkelin oder andere Anverwandte. Welche vernünftige Frau wür-
de sich sonst schon freiwillig mit „Poker-Helmut“ an einen Tisch setzen?
„Na, Helmut! Du sollst Dich doch von Frauen fernhalten! Muss ich erst
wieder mit Deinem Bewährungshelfer reden“? In den Augenwinkeln
des Mädels zuckt es leicht. Nach dem Marktrundgang beschließen der
Berichterstatter und „Poker-Helmut“ dann noch einen kleinen Ausflug
in ein anderes redaktionsnäheres Café und gesellen sich dort zu Inge A.
Etwas später erscheint dort auch das Frolleinchen von der anderen Seite
der Welt wieder. Und nun wird klar, die schöne Unbekannte heißt Ka-
thrin M. und ist eine Tänzerin, die nach längerem Aufenthalt in Neu-
seeland zwar einen neuen Job in Berlin gefunden hat aber noch keine
Wohnung. Ergo hat sie sich zunächst einmal für kurze Zeit in einer
Wohngemeinschaft gleich um die Südstern-Ecke eingemietet. Spontan
bietet der Chronist an, im Ernstfall in Übergangsfragen behilflich sein
zu können. Und so geht man dann auseinander und vergisst die ganze
Chose.
Bis – ja bis wiederum einige Zeit später das Telefon klingelt:
„Hey, ich bin´s, Kathrin! Ich komm dann heute Nachmittag und bring
auch schon mal meine Koffer mit“, sprudelt es aus dem Hörer. Was bei
einer zweiten Begegnung gemeinhin der Beziehungskiller Nr. 1 ist, wird
in diesem Fall jedoch der Beginn einer wundersamen Freundschaft.
Allein die Koffer sind eine Wucht. Die Frage, ob diese etwa mit Beton
ausgegossen seien, wird zwar verneint, gleichwohl bleibt ein Verdacht.
Über den Rest – das Simsophon festgewachsen in Kathrins Hand – ist
man sich schnell einig. „Ich kann Dir gern meinen Reisepass oder eine
Kaution hinterlegen“. „Ach was, zivilisiertes Betragen reicht“. Die Klee-
ne zuckt: „Wie meinst Du das“? „Keine facebook-Party mit 250 besoffe-
nen Rabauken im Treppenhaus“! Sie lacht und simst. Alles ist gut.
Und wenn die Tanzmaus nicht gerade durch die Stadt wuselt,
quirlt sie nun munter durch die Räume und das Leben des Korrespon-
denten; zieht sich ständig um oder fummelt am Smart-Phone. Und als
sie schließlich eine Steckdose in Schnurnähe des Küchentisches ent-
deckt, ist alles perfekt: Laden und simsen sind endlich eins. Auch die
Küche staunt: Früchtetees, urgesunde Wässerchen und größere Mengen
Karnickelfutter kennt sie so gar nicht. Da kommt Schwung ins Leben
eines doch eher etwas gesetzteren Herrn. Kathrin M. findet das alles
„supertoll“. „Super“ ist denn auch das häufigste Wort in diesen flotten
Tagen. Immerhin wird der Korrespondent von ITALIEN, dem Sitztän-
zer-Magazin für ruhigere Finger, auf diese Weise „superlieb“, „super-
nett“ und „echt cool“. Irgendwie fehlt dem Satzbau gelegentlich noch
ein „supergeil“, aber es geht ja auch so.
Ebenso überhastet wie sie aufgetaucht ist, entschwindet die
Tanzmaus drei Tage später auch wieder aus dem Leben des „Supernet-
ten“ und verwirbelt nun eine Wohngemeinschaft in Neukölln. In die
„supergemütliche“ Redaktion ist wieder Ruhe eingezogen. Einige Zeit
später hinterträgt Inge A. dem Korrespondenten, sie habe die holde
Tänzerin noch einmal getroffen. Auf ihre Frage, ob sie denn noch in
der ITALIEN-Redaktion verweile, habe diese indes geantwortet: „Ach
nee, bei Otto, das war eher nix“.
Tja! Wie ließ doch schon Schiller 1867 seinen Don Carlos
sagen: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.“
PETER THULKE-CARTOON-STARSCHNITT
IN 6 TEILEN (TEIL 1)
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