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WattLöpptin
NYC
vonStephenOldvoodel
Th e Ge r b il - Bur g e r : On e of t h o s e Ur ban L eg end s
Birger Christensen, von Freunden gelegentlich nach seinem Geburtsort
in der Türkei Birger Erbil genannt, Birger ist von Hause aus ebenso In-
formatiker und Mikrosystemtechniker wie weltgewandt. Der erste Teil
der Gleichung beschreibt seine Tätigkeit im Freiburger Exzellenzcluster
BrainLinks-BrainTools, wo er für das Design autonomer Roboter zu-
ständig ist, der zweite Teil meint seine Fähigkeit, den eigenen Tellerrand
deutlich zu überblicken. So zuletzt bei seinem jüngsten Besuch der Jah-
restagung der Society of Neuroscience Anfang November in Washing-
ton, DC. Er war zu dieser Fachgesellschaftstagung eingeladen worden,
über die enormen Fortschritte in Freiburg zu berichten und er hatte
eine Videodatei dabei. Das mit den Akronymen klappt noch nicht so
ganz, aber ansonsten ist BraLi-BraTo ein außergewöhnliches Produkt
künstlicher Intelligenz, verpackt in eine Maschine mit zwei Beinen, zwei
Armen, einem Kopf und Perfektion in allen gängigen menschlichen
Schrittformen einschließlich des Mabu, Xiebu, Chabu und Gongbu aus
dem Tai Chi. Das zeigt das Video an Hand eines Freilandversuchs in
der Freiburger Innenstadt und sorgte aus nachvollziebaren Gründen auf
der Tagung für Furore. Nun der Blick über den Tellerrand. Fachkolle-
gen von der Rockefeller University witzelten, einen autonomen Roboter
für die süddeutsche Provinz zu bauen, sei keine Kunst, Manhattan sei
der Lackmustest für den wirklich Autonomen. In Deutschland halten
zum Beispiel alle Fußgänger an der roten Fußgängerampel, allein schon,
um nicht mit Worten wie „Rotgänger“ oder Schlimmerem beleidigt zu
werden. In Manhattan kennt man das Jaywalking, das Überqueren
roter Fußgängerampeln zu Fuß. Doch gibt es da kein erkennbares
Regelwerk, was in einen simplen Algorithmus für einen Roboter zu
übertragen wäre. Der New Yorker macht das mit situativer Intelligenz
und der evolutionäre Druck hat in den vergangenen Jahrzehnten die
Zahl überfahrener Fußgänger trotz scheinbarer Ampelanarchie relativ
konstant halten können. Birger musste also zu seinen Kollegen von der
Mathematik, in die Vorhölle der Lie-Algebra, um hier eine einigerma-
ßen verlässliche Anpassung der Programmierung coden zu können und
dann auf das Eprom des Roboters zu brennen. Damit war man Ende
November so weit und konnte es nun den frechen Rockefellers zeigen.
Der Freilandversuch in Manhattan sollte aber ohne großen Presserum-
mel laufen, weil befürchtet werden musste, dass dann irgendwann mal
die Frage nach einer Genehmigung durch das städtische Ordnungsamt
laut werden würde. Auf so etwas hatte man bereits in Freiburg aus guten
Gründen verzichtet. Der Versuch lief auch ohne Genehmigung gut an.
In der Upper East Side ist es um den Campus der Rockefeller Uni-
versity herum auch noch vergleichsweise übersichtlich und die Umwelt
ist vektoriell ebenso rasch wie eindeutig zu erfassen. Zwanzig Minuten
weiter Richtung Fifth Avenue und 57th Street ist dem Verkehrslärm
schon eine gehörige Menge an Gequassel untergemengt, Gequassel in
fast allen Weltsprachen, was für BraLi-BraTo kein Problem darstellt,
doch wird Sprache leider häufig bildlich verwendet, unlogisch, genau
entgegen dem eigentlich Gemeinten oder nur 45 Grad vom eigentlich
Gemeinten abweichend etc. Da brauchte die Maschine nun etwas mehr
Zeit und – Hand auf‘s Herz – doch etwas Glück bei den Wahrschein-
lichkeitsberechnungen. Vollends aus der Bahn geriet das arme Ding
dann dank einer Urban Legend, die in Freiburg völlig unbekannt sein
muss. BraLi-BraTo stand vor dem Apple Store und vor dem Apple Store
gab es wie so oft eine Schlange. Es gäbe dort gleich Gerbil-Burger zu
kaufen, meinte einer der Passanten im Vorbeigehen, ein Witzbold wie
wir vermutlich wissen, nicht aber BraLi-BraTo ahnen konnte. Mit den
hinteren Winkeln der Urban Legends vertraut, verbindet man sofort
Gerbils, also zu deutsch Rennmäuse, mit der Geschichte, die seinerzeit
Sylvester Stallone über seinen Schauspielerkollegen Richard Gere ver-
breitet hat, dass dieser nämlich Rennmäuse benutzt habe, um sich sexu-
ell zu stimulieren und dass Gere sich eines Abends so eine Rennmaus in
der Notaufnahme eines Krankenhauses in Los Angeles aus dem Darm
habe entfernen lassen müssen. So weit, so gut. Der Burger kommt ins
Spiel, weil in einem Burger das Fleisch zwischen zwei Brötchenhälften
eingeklemmt wird und auch die englische Sprache konnotiert mit dem
Brötchen (Bun) situativ gelegentlich das Pöpschen. Der Werbeslogan
der mexikanischen Fast Food Kette Taco Bell passt insofern ins Bild,
weil er „Think Outside the Bun“ lautet und Mexikaner verdächtigt wer-
den, Meerschweinchen und sogar kleinere Nagetiere zu grillen. Daraus
sollte jetzt der Roboter Sinn schöpfen, was in der Kürze der Zeit eines
New Yorker Moments nicht möglich war. Als ultima ratio beschloss Bra-
Li-BraTo, nicht Gerbil-Burger, sondern Birger Erbil in falscher Reihen-
folge gehört zu haben und solange seine Batterie-Ladung es erlaubte,
musterte er die Menschen auf der Fifth Avenue und fragte leise: „Papi?“
Verdammt nah an der Gastronomie.
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