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12 I

TAL

IEN

WattLöpptin

NYC

vonStephenOldvoodel

H A R R Y V O M H O M B Ü C H E L

F o l l o w i n g I n d u s t r y S t a n d a r d s :

D i e Ö l p r i n z e n v o n N e w Y o r k

Sie haben Firmennamen wie Castle Oil oder Express Petro-

leum, sie sind vorwiegend in der Bronx und in Brooklyn zu Hause und

sie sind allesamt Familienunternehmen. Die Rede ist von den gut zwei

Dutzend Telefonnummern, die Hausbesitzer und –meister in New York

City anrufen, wenn der Füllstand des Heizöltanks ein gewisses Maß

unterschreitet. Familienunternehmen und New York City – das klingt

nur wenig nach Transparenz oder gar Ehrenmedaillen des Best Business

Bureau, der hiesigen Verbraucherschutzorganisation. Zu sehr wirken im-

mer noch die beinahe schon zur lokalen Folklore gehörenden Geschich-

ten aus dem letzten Viertel des 20 Jahrhunderts nach, die cum grano

salis zahlreiche Gewerbebereiche der Stadt als mafiös oder wenigstens

kleinkriminell unterwandert schilderten. Müllbeseitigung, Kranunter-

nehmen, Baustoffe, Umzüge, Straßenbau, Restaurants, Öllieferanten,

viele Bereiche des im hellsten Tageslicht stattfindenden wirtschaftlichen

Handelns war im Hinblick auf Personal und Handlungsstruktur den

Schattenbereichen der Wirtschaft wie Prostitution, Glücksspiel oder

Drogenhandel sehr ähnlich. Dann kamen die Staatsanwälte. Männer

wie Rudolph Giuliani räumten auf, machten auf Law and Order, und

dem neuen Jahrtausend zeigte sich die Stadt dann wie grundgereinigt.

So sauber, dass Manhattan zuweilen beinahe antiseptisch wirkt und man

sich eigentlich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es außerhalb der

großen Bank- und Investmenthäuser von Wall Street überhaupt noch

Kriminalität in der Stadt gibt. Warum – so die naheliegende Vermutung

– solle man sich mit kleinen Gaunereien aufhalten, wenn mit den großen

Gaunereien deutlich mehr Geld zu verdienen ist. So rieb man sich hier

jüngst anlässlich einer Razzia bei allen Heizöllieferfirmen die Augen.

Noch mehr wunderte man sich über die hohen Kautionen, die die Un-

tersuchungsrichter für die verhafteten Inhaber und Geschäftsführer der

Firmen festsetzten, denn die Höhe der Kaution ist direkt proportional

zum erwarteten Strafmaß. Das wiederum orientiert sich an der Schwere

des Verbrechens. „We are just following industry standards“, auf deutsch:

„Wir machen doch nur die üblichen Geschäfte“, lautete unisono die

Auskunft bei den Auftritten vor dem Haftrichter, man könne die gan-

ze Aufregung beim besten Willen nicht nachvollziehen. Gewerblicher

Standard, so stellte sich rasch heraus, war zum Beispiel die Manipulation

der Durchflussmessgeräte für Heizöl. Mit einem geschickt angebrachten

Magneten kann man wohl sehr gut verschleiern, dass mit dem Öl auch

ordentlich Luft mit in den Tank gepumpt worden ist. Vor allem Liefe-

rungsempfänger in den öffentlichen Gebäuden der Stadt haben oft eben-

sogroße Heizöltanks wie Toleranz gegenüber mittleren Ungenauigkeiten

bei der Lieferungsbemessung. Eine solche Toleranz wäre zur Not auch

käuflich. Eine klassische Win-Win-Situation. Der entstehende Sachscha-

den lässt sich leicht in den öffentlichen Haushalten verrühren und die

Gaunerei hat irgendwie was tief Romantisches. Man musste sich schon

in das Kleingedruckte der Ermittlungsakten vorlesen, um zu verstehen,

warum die Staatsgewalt nun wieder so rigoros durchgreift. Wir ahnen,

es könnte kulinarische oder gar religiöse Gründe haben und in der Tat,

die ökonomisch sinnvolle Diversifikation der Geschäftsbereiche hat die

Heizöllieferer in den Focus der Staatsanwaltschaft gerückt. Zum tradi-

tionellen Untermischen von Luft unter das Heizöl, so der aktuelle Stand

der Ermittlungen, war in den vergangenen Jahren die Beimischung von

billigsten Speiseölen zu den für mittlerweile sauteuer Geld verkauften

Olivenprodukten „Extra Virgin, First Cold Press“ gekommen, es wurde

flüssige Vaseline als Salbungsöl angeboten und der Tropfen, der das Fass

wohl zum Überlaufen brachte, war dann „kosher und hallal ham“, der

für Furore sorgte. Dem scheint nun ein Riegel vorgeschoben zu sein:

Extra Virgin Olive Oil ist weniger gepanscht, die Katholiken der Stadt

brauchen im Falle ihres bevorstehenden Ablebens keine Vaseline als letz-

te Ölung zu befürchten und orthodoxe Moslems und Juden können sich

nicht mehr auf Schinken freuen. Aber Heizöl muss weiterhin geliefert

werden, vor allem in der kalten Jahreszeit. Die Durchflussmesser sind

unter genauer Aufsicht der Behörden und die Fahrer müssen sich zur

Aufbesserung ihrer Gehälter an den Müllkutschern orientieren. Es heißt

nun freundlich sein, anlässlich der Lieferung ein frohes neues Jahr wün-

schen und die Hand für ein Trinkgeld aufhalten: The new industry stan-

dards.