I
TAL
IEN 9
B e r n d
Von Jörg Degenkolb-Degerli
Ich habe Bernd nie gesucht. Und trotzdem hat er mich ge-
funden. Bernd ist vor ein paar Jahren kometenhaft in mein Leben ein-
geschlagen – und leider nicht verglüht. Nicht falsch verstehen jetzt: Ich
schätze Bernd sehr, wenn er nicht bei mir ist. Und wenn er zum Bei-
spiel mal so fünf Jahre nicht mehr vorbeikäme, würde er mir schon auch
nicht fehlen. Aber wenn man zwischen Pest und Cholera wählen kann,
nimmt man lieber beide anstatt Bernd. Man streicht nach einiger Zeit
„Das kleinere Übel“ aus dem Vokabular, wenn man Bernd kennt. Wird
man schwer krank, denkt man: Na ja, besser als Bernd. Die Vorstellung
von einem Flugzeugabsturz wird gemildert beim Gedanken daran, dass
Bernd mitfliegt und das auch nicht überleben wird. Ein Armageddon ist
an der Seite von Bernd nicht weniger schlimm, sondern wegen Bernd
überhaupt erst möglich. Ich finde es heute extrem schlüssig, dass man
nach ihm ein Brot benannt hat. Verdammt, ich liebe diesen Kerl. Und
unsere Freundschaft hat einfach alles, was ich vorher schon nicht ver-
misst hatte.
Bernd schaut mir zu, wenn ich mich auf dem Heimtrainer ab-
strampel’ – und er trinkt dabei mein letztes gekühltes Lieblingsbier.
Bernd schickt mir nachts um drei Sprachnachrichten mit dem Inhalt:
Denk dran, Du kannst mich jederzeit anrufen. Ich geh allerdings nur
selten ran.
Bernd erzählt freudestrahlend: Ich habe mich bei diesem neu-
en Porno-Portal eingeloggt – mit Deinen Daten. Bernd ist einfach das,
wovon man als Kind träumt und was man als Erwachsener endlich be-
kommt, aber dann auch nicht umbringen darf.
Er ruft schon morgens in der rappelvollen Espressobar Sachen
wie: Ey, sach mal, du bist doch beschnitten, oder? Is der Sex da eigentlich
wirklich besser? --- Und ohne auch nur den Hauch einer Antwort abzu-
warten, schreit er: Beschnitten ist der feine Herr nämlich, meine Damen.
Kahl. Helmig. Da gucken Sie jetzt aber doof auf Ihren albernen Latte
Karamell, was?
Manchmal denke ich, ein bisschen weniger Bernd würde mei-
nem Leben guttun. Positiv formuliert, kann man sagen: Bernd ist immer
für mich da – genau dann, wenn ich niemanden brauche. WENN ich
dann mal jemanden brauche, legt Bernd einen – sagen wir mal – eher
suboptimalen Umgang mit meinem Hang zum Depressiven an den Tag.
Als Petra mich verlassen hatte zum Beispiel, da hat er als Kim Basinger
verkleidet zu You Can Leave Your Hat On an der Stange getanzt – in
meinem Schlafzimmer. Das hat Petra doch auch immer gemacht, wollte
er mich aufmuntern.
Woher weiß er das?
Als ich die Magen-Darm-Grippe hatte, hat Bernd mir Tee auf-
gebrüht. Mit dem Böklunder-Wurstwasser vom Vortag.
Freunde verbindet so etwas.
Als ich einmal tagelang nicht aus dem Bett gekommen bin,
weil ich meine Antidepressiva nicht mehr finden konnte, meinte Bernd:
Waren das so braune? Oh, ich dachte, das wäre Trockenfutter für den
Kater. Bernd hat mir dann geholfen, den Kater im Wald zu begraben.
Gute Freunde machen das.
Auch gegen die Stimmen in meinem Kopf hat Bernd natürlich
etwas: Du musst den Stimmen einfach eine noch lautere Stimme ent-
gegensetzen. Nimm Kopfhörer und dann ab die Post ... Kurt Cobain,
Nirvana, I Hate Myself And I Want To Die.
Wie gut es doch tut, Ratschläge von einem Freund zu bekom-
men. Man müsste nur eben einen haben. Wenn es Bernd nicht gäbe,
wäre da vermutlich irgendein Guido oder ein Mirko. So einer wäre be-
müht, dass es mir gutgeht. Er würde mir Mut machen, auch mal auf die
Schulter klopfen, sagen, dass ich ein Teufelskerl bin. Aber da ist Bernd.
Und der ruft: Komm! Raus aus den Federn!
Wir gehen auf den Friedhof. Perspektivwechsel.
Wahnsinnig gerne würde ich für Bernd so einen schnuckeligen
Spruch aus dem Internet klauen: Wie ein Nike ohne Air, wie ein Teddy
ohne Bär, wie ein Tic ohne Tac, wie ein Donald ohne Duck, wie Sonne
ohne Stich, so wär Freundschaft ohne dich!
Aber denke ich an Bernd, schreibe ich automatisch: Dumme
Sprüche auf der Lippe, und ein Leben auf der Kippe, leerer Kühlschrank,
leeres Bier, so ist Freundschaft nur mit Dir!
Na ja, immerhin sorgt Bernd gut für sich und schreibt für SEI-
NE Person den Begriff Teilen ganz groß.
Vielleicht ist das ja der Grund, warum ich ihn in letzter Zeit
immer häufiger zusammen seh’ mit – Petra.
rattelschneck