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TAL
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B I L D E R , D I E W I R N I C H T V E R S T E H E N
V O N E R N S T K A H L
Ich lebe in der lokalen Mottenzuchtstation. Hier ist nichts ste-
ril und es muss überhaupt nichts für die Zucht getan werden.
Es war schon immer so: Insekten verstehen und respektieren
mich nicht. Eine würdevolle Kommunikation kommt niemals zustande,
so sehr ich mich auch bemühe. Längst habe ich die Hoffnung auf einen
Erfolg aufgegeben. Wäre ich Musiker, widmete ich dem Aneinandervor-
beileben von Mensch und Insekt eine aufrüttelnde Komposition. Ent-
sprechendes könnte ich auch als Dichter unternehmen, doch reizt mich
so ein Blödsinn nicht. Was mich interessiert, sind tote Motten.
Ich lebe in der lokalen Mottenzuchtstation. „Zuchtstation“
weckt gewiss ganz falsche Assoziationen, denn hier ist nichts steril, und
es muss überhaupt nichts für die Zucht getan werden. Sie erledigt sich
ohne menschliches Zutun ganz von selbst. Den Motten müssen nur ide-
ale Lebens- und Brutverhältnisse geboten werden. Sie brauchen dunkle,
ungestörte Bereiche und ausreichend Nahrung – wie Teppichböden aus
Schurwolle. Wie viele Motten hier ansässig sind, entzieht sich meiner
Kenntnis. An manchen Tagen sehe ich keine, doch sie sind immer da
und vermehren sich zuverlässig an mir unzugänglichen, ja unbekannten
Stellen der von mir bewohnten Räume.
Leider handelt es sich nur um kleine Motten, die nichts her-
machen. Für das Basteln mit Motten könnte ich mich auch begeistern,
doch braucht man dafür große Exemplare. Meinen Schreibtisch ziert ein
Devotionalglas mit einer großen toten Motte. Es ist eine schöne Bastel-
arbeit, die ich als Kind in einer pädagogischen Einrichtung zu Ehren des
Finanzamts hergestellt und später auf verschlungenen Wegen erworben
habe.
Unfassbarerweise entdeckte ich vor kurzem unter dem absolut
luftdichten Glassturz eine jener besagten kleinen Motten. Sie saß neben
der toten großen und lebte. Wie sie dort hineingekommen war, ist und
bleibt eins der auf ewig unlösbaren Rätsel dieser Welt. Kleine Motten
waren überall, sogar im Kühlschrank, weshalb also nicht auch in herme-
tisch geschlossenen Devotionalgläsern? Nach ein paar Tagen war sie ver-
schwunden, obwohl sie ebenso wenig hinaus wie hinein gekonnt hatte.
Hier begann ich zu ahnen, dass den widerlichen kleinen Motten, diesem
blöden Ungeziefer, die Fähigkeit eignete, sich, zumindest in gewissen
Bereichen, über die Naturgesetze hinwegzusetzen. Sie konnten mitten
im Flug vor dem menschlichen Auge aus dem Raum-Zeit-Kontinuum
verschwinden. Offenbar vermochten sie auch, Glas spurlos zu durchdrin-
gen. Seit vielen Jahrtausenden wünschte sich die Menschheit schon, Glei-
ches ebenfalls zu beherrschen, war aber mit der Wunscherfüllung nicht
nennenswert vorangekommen.
Ausgerechnet ich schien dazu bestimmt, eines Tages dahin-
terzukommen, wie die Motten das machten. Weit davon entfernt, mein
Geheimwissen an irgendeine Verbrecherbande zu verkaufen, nutze ich
es ausschließlich privat und habe schon viel Freude daraus gezogen. Die
kleinen Motten tribulieren mich nicht länger. Im Gegenteil: Zur Strafe
für alles, was sie mir angetan haben, lasse ich sie heute die Hecke schnei-
den.
V o m r i c h t i g e n Um g a n g m i t M o t t e n
v o n E u g e n E g n e r
kittihawk