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TAL
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Ich bin verlassen worden. Passiert fast jedem mal. Nicht jeder
ist aber eine verlassene Quattro-Milf mit Masterskills. Genau das bin
ich, eine afro-deutsche-serbokroatische Mutter von vier Kindern und ei-
ner kleinen Weimaraner-Hündin. Ich bin für eine andere Frau verlassen
worden. Bevor jedoch jetzt ein Aufschrei der Empörung oder gar die
Aufforderung nach Lynchjustiz durch das geliebte Tal hallt, möchte ich
um Rücksicht bitten! Rücksicht für den Mann. Das Schicksal hat es gar
unaussprechlich schlecht mit ihm gemeint: Er hat Midlifecrisis! Er hat
Midlife-Crisis und ist Künstler! Das muss man erst mal auf sich wirken
lassen, das kann und darf nicht übergangen werden. Es ist mir durchaus
bewusst, welch´ empathische Gefühle das gemeinhin und auch bei Ih-
nen aufkeimen lässt. Er muss durch die Welt reisen, einen Job zu haben,
für den er beneidet und geachtet wird. Das schafft Druck!
Ebenso ist es eine Zumutung, in Hotels zu übernachten und
zu interessanten Events abseits von vollgeschissenen Windeln und vollge-
kotzter Oberbekleidung eingeladen zu werden. Das Kontrastprogramm
der Gefühle, von Groupies angehimmelt und im Gegenzug zu Hause von
einer Brut, die der RTL-II-Großfamilie „Die Wollnys“ gleicht, empfan-
gen zu werden, kann wohl nur Brad Pitt nachvollziehen. Dieser jedoch
kann zumindest in der Gewissheit leben, dass er zu Angelina Jolie heim-
kehrt. Glauben Sie mir, das lässt den Mann durchhalten und nur das!
Nun gut, meine Kinder und ich sind ungleich schöner als die Wollnys,
das konnte dem leidigen Künstler trotzdem keinen Trost spenden. Er hat
es aber einfach verdammt schwer. Gespräche mit Ü5-Jährigen führen
und in Restaurants speisen, die definitiv keinen Pastinakenbrei auf der
Karte stehen haben, erscheint mir wie ein schweres Los und schicksal-
haft.
Man tut ihm Unrecht, sieht man nicht, wie tragisch das alles
für ihn ist. Sogar ich habe das eingesehen, also seien Sie bitte nicht allzu
streng mit Ihrem Urteil über ihn. Er lebt nun sein Künstlerdasein voll-
ends aus, während ich mich hingegen an die Arbeit mache und eine neue
Behausung für die Bälger, den ewig kläffenden Köter und mich suche.
Man möchte behaupten, dies sei ein Leichtes, bei dem Wohnungsleer-
stand in Wuppertal. Die Suche gestaltete sich durchaus auch erstaunlich
effektiv und vor allem kein Stück würdelos: Frau lässt liebend gerne das
Geflirte vom grobschlächtigen Makler über sich ergehen, um dann die
Wohnung im prestigeträchtigen Bezirk Wichlinghausen doch nicht zu
bekommen.
Jetzt habe ich eine Wohnung und ich möchte nicht davon be-
richten müssen, wie viel Charme mich diese gekostet hat: Daran gemes-
sen könnte die Vermutung aufkommen, es handele sich um ein Schwei-
zer Chalet. Ein Schweizer Chalet in Oberbarmen. Diesen elegantesten
aller Stadtteile im Tal mochte ich schon immer besonders gerne und in
mir keimt die leise Hoffnung auf, dass meine Brut in der Hochhaussied-
lung zwischen Mandy, Kevin, Chayenne und Bianca kaum weiter auf-
fällt. Dort scheint es sogar von Vorteil zu sein, dass wir uns dem Chan-
talismus nicht ganz erwehrt haben: Auch hierfür habe ich eine passende
Entschuldigung parat, denn ich bin schwarz, der Kindsvater ein halber
Pole und dann darf man das. Denn so wirkt man nämlich nicht mehr
ungebildet, sondern urban.
In der neuen Siedlung wird mich endlich keiner mehr abschät-
zig fragen, wie es dazu kommt, dass meine Kinder alle unterschiedlich
aussehen, sondern mit Erstaunen und fast hochachtungsvoll feststellen,
dass sie alle vom selben Vater sind. Dort wird mich auch keiner mehr fra-
gen, in welcher Branche ich tätig bin und wie lange ich gedenke, die El-
ternzeit in Anspruch zu nehmen. Nein, da werde ich in Zukunft gefragt,
ob mein Hartz-4-Bedarf schon drauf ist. Ich werde keine Tagesmutter
beanspruchen, jetzt habe ich einen Flatscreen-Fernseher und ein Tablet
– beides wesentlich günstiger im Unterhalt, machen dabei denselben Job
und können bei Antragsstellung unter Wohnungseinrichtung geltend
gemacht werden. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nennt man das.
Und wenn ich jetzt im Jogger, mit der Fluppe im Hals meinen Kindern
auf dem Spielplatz hinterherbrülle, so ist dies ein der Situation durch-
aus angemessenes Verhalten. Machen Sie das mal in der Lüntenbeck, da
packen die Helikoptermütter gleich die Brüste und die Globoli aus. Ar-
nica und Muttermilch gegen Kindheitstraumata, welches die fremdan-
mutende Mutter ihren Nachkömmlingen beschert hat. Jetzt mal Hand
aufs Herz, er hat es wesentlich schlechter getroffen, der Mildlife-Crisis-
gebeutelte Künstler. Ich kann nun völlig losgelöst Klischees erfüllen, die
aufkommen, wenn ich sage, ich sei alleinerziehende Mutter von vier Kin-
dern. Nur eine Sache, die nehme ich ihm verdammt übel: Die Neue ist
älter als ich. Sie ist Karrierefrau.
A l l e i n e r z i e h e n d e M u t t e r v o n v i e r K i n d e r n m i t M i g r a t i o n s h i n t e r g r u n d
u n d H u n d s u c h t b e z a h l b a r e W o h n u n g i n Wu p p e r t a l
v o n J a s m i n a K u h n k e
rattelschneck