Background Image
Previous Page  13 / 16 Next Page
Basic version Information
Show Menu
Previous Page 13 / 16 Next Page
Page Background

I

TAL

IEN 13

Ich bin verlassen worden. Passiert fast jedem mal. Nicht jeder

ist aber eine verlassene Quattro-Milf mit Masterskills. Genau das bin

ich, eine afro-deutsche-serbokroatische Mutter von vier Kindern und ei-

ner kleinen Weimaraner-Hündin. Ich bin für eine andere Frau verlassen

worden. Bevor jedoch jetzt ein Aufschrei der Empörung oder gar die

Aufforderung nach Lynchjustiz durch das geliebte Tal hallt, möchte ich

um Rücksicht bitten! Rücksicht für den Mann. Das Schicksal hat es gar

unaussprechlich schlecht mit ihm gemeint: Er hat Midlifecrisis! Er hat

Midlife-Crisis und ist Künstler! Das muss man erst mal auf sich wirken

lassen, das kann und darf nicht übergangen werden. Es ist mir durchaus

bewusst, welch´ empathische Gefühle das gemeinhin und auch bei Ih-

nen aufkeimen lässt. Er muss durch die Welt reisen, einen Job zu haben,

für den er beneidet und geachtet wird. Das schafft Druck!

Ebenso ist es eine Zumutung, in Hotels zu übernachten und

zu interessanten Events abseits von vollgeschissenen Windeln und vollge-

kotzter Oberbekleidung eingeladen zu werden. Das Kontrastprogramm

der Gefühle, von Groupies angehimmelt und im Gegenzug zu Hause von

einer Brut, die der RTL-II-Großfamilie „Die Wollnys“ gleicht, empfan-

gen zu werden, kann wohl nur Brad Pitt nachvollziehen. Dieser jedoch

kann zumindest in der Gewissheit leben, dass er zu Angelina Jolie heim-

kehrt. Glauben Sie mir, das lässt den Mann durchhalten und nur das!

Nun gut, meine Kinder und ich sind ungleich schöner als die Wollnys,

das konnte dem leidigen Künstler trotzdem keinen Trost spenden. Er hat

es aber einfach verdammt schwer. Gespräche mit Ü5-Jährigen führen

und in Restaurants speisen, die definitiv keinen Pastinakenbrei auf der

Karte stehen haben, erscheint mir wie ein schweres Los und schicksal-

haft.

Man tut ihm Unrecht, sieht man nicht, wie tragisch das alles

für ihn ist. Sogar ich habe das eingesehen, also seien Sie bitte nicht allzu

streng mit Ihrem Urteil über ihn. Er lebt nun sein Künstlerdasein voll-

ends aus, während ich mich hingegen an die Arbeit mache und eine neue

Behausung für die Bälger, den ewig kläffenden Köter und mich suche.

Man möchte behaupten, dies sei ein Leichtes, bei dem Wohnungsleer-

stand in Wuppertal. Die Suche gestaltete sich durchaus auch erstaunlich

effektiv und vor allem kein Stück würdelos: Frau lässt liebend gerne das

Geflirte vom grobschlächtigen Makler über sich ergehen, um dann die

Wohnung im prestigeträchtigen Bezirk Wichlinghausen doch nicht zu

bekommen.

Jetzt habe ich eine Wohnung und ich möchte nicht davon be-

richten müssen, wie viel Charme mich diese gekostet hat: Daran gemes-

sen könnte die Vermutung aufkommen, es handele sich um ein Schwei-

zer Chalet. Ein Schweizer Chalet in Oberbarmen. Diesen elegantesten

aller Stadtteile im Tal mochte ich schon immer besonders gerne und in

mir keimt die leise Hoffnung auf, dass meine Brut in der Hochhaussied-

lung zwischen Mandy, Kevin, Chayenne und Bianca kaum weiter auf-

fällt. Dort scheint es sogar von Vorteil zu sein, dass wir uns dem Chan-

talismus nicht ganz erwehrt haben: Auch hierfür habe ich eine passende

Entschuldigung parat, denn ich bin schwarz, der Kindsvater ein halber

Pole und dann darf man das. Denn so wirkt man nämlich nicht mehr

ungebildet, sondern urban.

In der neuen Siedlung wird mich endlich keiner mehr abschät-

zig fragen, wie es dazu kommt, dass meine Kinder alle unterschiedlich

aussehen, sondern mit Erstaunen und fast hochachtungsvoll feststellen,

dass sie alle vom selben Vater sind. Dort wird mich auch keiner mehr fra-

gen, in welcher Branche ich tätig bin und wie lange ich gedenke, die El-

ternzeit in Anspruch zu nehmen. Nein, da werde ich in Zukunft gefragt,

ob mein Hartz-4-Bedarf schon drauf ist. Ich werde keine Tagesmutter

beanspruchen, jetzt habe ich einen Flatscreen-Fernseher und ein Tablet

– beides wesentlich günstiger im Unterhalt, machen dabei denselben Job

und können bei Antragsstellung unter Wohnungseinrichtung geltend

gemacht werden. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nennt man das.

Und wenn ich jetzt im Jogger, mit der Fluppe im Hals meinen Kindern

auf dem Spielplatz hinterherbrülle, so ist dies ein der Situation durch-

aus angemessenes Verhalten. Machen Sie das mal in der Lüntenbeck, da

packen die Helikoptermütter gleich die Brüste und die Globoli aus. Ar-

nica und Muttermilch gegen Kindheitstraumata, welches die fremdan-

mutende Mutter ihren Nachkömmlingen beschert hat. Jetzt mal Hand

aufs Herz, er hat es wesentlich schlechter getroffen, der Mildlife-Crisis-

gebeutelte Künstler. Ich kann nun völlig losgelöst Klischees erfüllen, die

aufkommen, wenn ich sage, ich sei alleinerziehende Mutter von vier Kin-

dern. Nur eine Sache, die nehme ich ihm verdammt übel: Die Neue ist

älter als ich. Sie ist Karrierefrau.

A l l e i n e r z i e h e n d e M u t t e r v o n v i e r K i n d e r n m i t M i g r a t i o n s h i n t e r g r u n d

u n d H u n d s u c h t b e z a h l b a r e W o h n u n g i n Wu p p e r t a l

v o n J a s m i n a K u h n k e

rattelschneck