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12 I

TAL

IEN

WattLöpptin

NYC

vonStephenOldvoodel

L o s t i n T r a n s l a t i o n

New York ist die Stadt der Sprachen. Es sollen mehr als 250

verschiedene Sprachen und deren zahllosen Dialekte in New York ak-

tiv gesprochen werden. Offenen Ohres in einem Waggon der U-Bahn

kann man davon leicht einen Eindruck gewinnen. Dann leuchtet einem

vielleicht auch der Grund ein, warum die Firma Google eines ihrer For-

schungszentren gleich in der Nähe der U-Bahn Haltestelle 14th Street

auf der 8th Avenue angesiedelt hat. Google beforscht dort unter an-

derem Programme zum Übersetzen von einer Sprache in eine andere,

wobei es – und das ist das eigentlich revolutionäre – Google nicht dar-

auf ankommt, zu verstehen, wie Sprache funktioniert, sondern schlicht

riesige Mengen sprachlicher Beispiele auf ihre Server stopft und dann

geschickte Rechenprogramme entwirft, die aus dem jeweiligen Zusam-

menhang eine Wahrscheinlichkeit berechnet, was gemeint sein könn-

te. Das klingt kompliziert, reicht aber für den täglichen Gebrauch in

mehr als 95% der Fälle. Genauigkeit ist halt Luxus und der Charme

dieser Methode ist, dass im Prinzip auch ein Marsmensch landen und

er rasch verstanden werden könnte. In New York gibt es aber bereits

diesseits des Mars tonnenweise Futter für die Server und im Hauptquar-

tier der Vereinten Nationen an der First Avenue fallen zudem tagtäg-

lich Unmengen an Übersetzungen diplomatischer Verlautbarungen an.

Trotzdem sind Google-Übersetzungen mitunter noch grottenschlecht,

weil – und das weiß man auch bei Google – Sprachen oft auch spieleri-

sche Aspekte haben, Aspekte, die sich selbst kontextuell zum einen nur

schwer erschließen lassen und zum anderen womöglich auch gar nicht

erschlossen werden sollten. Denn auch das ist New York: Eine sehr gro-

ße Stadt mit sehr vielen verschiedenen Menschen dichtgedrängt, wo

es zum friedlichen Miteinander fast unabdingbar erscheint, die Dinge

eben nicht beim Namen zu nennen, sondern einander mit reizarmen

Wortwolken zu begegnen.

Bei den wirklichen Vereinten Nationen, also entlang des

Streckenteils der U-Bahn Linie 7 zwischen Queensboro Plaza und

Willets Point im Stadtteil Queens, dort wo viele Ethnien friedlich und

dicht beienander leben, die sich anderswo bis auf das Messer bekämp-

fen, bei diesen Vereinten Nationen spielt die Vagheit des New Yorker

Sprechens eine vielleicht entscheidende Rolle, denn Kriege wären hier

schon aus rein praktischen Gründen schwierig zu führen. Mit der Vag-

heit und den Möglichkeiten ihrer Aufklärung setzte man sich bei Goog-

le zuletzt in einer für Grundsatzfragen zuständigen Abteilung ausein-

ander. Man wolle, so der Beschluss, keine Rechenkraft an Genauigkeit

verschwenden, wo diese kontraproduktiv oder gar konfliktfördernd sei.

Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die sogenannten falschen Freunde

in Fremdsprachen, etwa die oft mit Fagotten verwechselten faggots oder

die dates, die eigentlich appointments sind und die mittlerweile schon

Kolumnen im Spiegel bevölkern, nein, es geht um einen komplexeren

Sprachgebrauch. Wir kennen das vielleicht vom “How are you?”, leicht

als Frage misszuverstehenden. Wahrscheinlich ist jeder schon einmal

in diese Falle getappt, hat sein Befinden in epische Breite geschildert

und sich kurz danach vermutlich in Grund und Boden geschämt. Es

gibt Schlimmeres. “Interesting”, “very interesting”, “good for you”,

“nice”, “very nice” oder “good job” gehören in diese Kategorie. Ich hof-

fe, keiner der Leser hat so etwas je zu hören bekommen, denn wört-

lich, sinngemäß oder wie auch immer übersetzt gehören diese Worte

zu den schallendsten Ohrfeigen, die New Yorker austeilen können. Sie

ahnen: Ein auf einer Party nach dem eigenen Wortbeitrag von Anderen

gehörtes “interesting” könnte so was wie “todlangweilig” meinen, “very

interesting” eine andere Redewendung für “go, fuck yourself” sein. Sie

werden wohl “good job” noch nicht gehört haben. So was hören zum

Beispiel Hunde auf Manhattener Straße von Herrchen oder Frauchen,

die damit in Wirklichkeit sagen: “Mach beim Kacken nicht so ein däm-

liches Gesicht, du Töle.” Auch Kinder hören so was alle Nase lang, vor

allem beim Sport oder anderen Zur-Schaustellungen kürzlich erlernter

Fähigkeiten. Hier meint es so etwas wie: “Wir haben Dich irre lieb,

selbst wenn es weder zum Violinvirtuosen noch zur Kür auf dem Schwe-

bebalken reichen wird.” Sagen würde man das nie. Die Kinder ahnen

das ohnehin, und es wäre darüber hinaus wirklich sehr unfreundlich.

Nichts zu sagen, wäre wohl noch unfreundlicher, also sagt man “good

job” und wir Deutschen denken, die Amis loben viel zu viel. Derartige

Missverständnisse sollen uns laut Google im Sinne eines friedlichen

Miteinanders auch weiterhin erhalten bleiben. Google will es bei einer

Genauigkeit von unter 98% belassen und folgt ansonsten dem Motto

der Grundsatzabteilung: “Some words are better lost in translation.”