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6 I

TAL

IEN

DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“

K a m p f t a g i m G l a s b i e r f a c h g e s c h ä f t

In Kreuzberg mussten bereits mehrere U-Bahn-Stationen ge-

schlossen werden, denn in den Straßen drängeln sich angereiste Touris-

ten in kaum übersehbaren Massen. Verzweifelt versucht die alljährliche

„Revolutionäre 1.Mai-Demonstration“ dennoch, sich durch das mit

rund 45.000 Menschen proppenvolle „Myfest“ zu quälen. Erfolglos!

Aber eine gute Gelegenheit für die Touries, schnell ein paar schicke

Selfies vor revolutionären Transparenten an die daheimgebliebenen

Freunde zu schicken.

Und während all dies geschieht, laufen im Glasbierfachge-

schäft des Vertrauens die Recken der revolutionären Clubs von vorvor-

gestern auf. Haben sie sich einstemalen im Kampf um die richtige Linie

fröhlich gegenseitig aufs Maul gehauen, so bleibt heutigentags alles ru-

hig. „Hast Du denn auch in den Mai getanzt?“, fragt die Schankmeis-

terin Christine P. den Mann von ITALIEN, dem Monatsheftchen für

modernen Klassenkampf. Am Kampftag der Arbeiterklasse? Was denkt

sich die Maid? „Es heißt Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“,

korrigiert Anja D. den ITALIEN-Mann vorlaut und altklug. Das ist nun

gar nicht fair, denn Anja ist eine Nachgeborene, die nie eine Straßen-

schlacht mitgemacht hat. Also zurückgeschlagen: „Hoch die Faust für

Ernst Aust“!* Anja D. ist erwartungsgemäß ratlos. Dachte Mann es sich

doch, dass sie das Hosianna der Kommunistischen Partei Deutschland/

Marxisten-Leninisten (KPD/ML*) auf ihren tumben Anführer nicht

kennt. Immerhin, am Tresen bricht nicht ur Gelächter aus, auch der

Damm ist damit gebrochen und jeder, der eine hat, legt nun seine kom-

munistische Vergangenheit offen.

Zwischen Bernd L., einstmals ein Anhänger der – auch nicht

so ganz ohne – Kommunistischen Partei Deutschland (KPD*) und dem

ITALIEN-Hauptstadtkorrespondenten, damals ein Anhänger des im

weiten K-Spektrum eher unkonventionellen Kommunistischen Bund

(KB*), steht ausgerechnet Klaus E., ehemals Mitglied der SED*-treuen

Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW*). „Tja früher haben

wir diese SEW-Schweine immer verhauen“, sind sich KPD und KB einig.

Das waren eben noch wilde Zeiten, aber sie haben sich geändert. Heute

schnorrt das „SEW-Schwein“ nur noch Zigaretten und gibt dafür einen

aus. „Hmmm! Ich war nie in irgendeiner Partei oder Verein, das war mir

immer schon suspekt“, meint Jochen Z. versonnen grinsend, verteilt

Schnäpse und alle sind es zufrieden. Von einem rückwärtigen Tisch

mischt sich Bernhard G., ein Ex-Genosse des schrägen Kommunisti-

schen Bund Westdeutschland (KBW*) ein. „Der verdammte Reaktionär

wieder“, raunt eine Stimme, die des lieben Friedens willen, ungenannt

bleiben soll.

Gleichwohl gibt sich Bernhard G. keine Mühe, den Eindruck

zu zerstreuen. Stattdessen berichtet er von seinem nimmermüden

Kampf gegen die sich ausbreitenden türkisch-arabischen Shisha-Loun-

ges an der benachbarten Hasenheide. Er denke da an gehacktes Blei:

„Bei 1.000 Patronen kostet das Stück nur 37 Cent“. 1.000 Schuss, Bern-

hard, da ist halbe Hasenheide weg! „Ja, aber ich bekomme ein Bundes-

verdienstkreuz“. Na ja, vermutlich wohl eher Sicherheitsverwahrung.

Doch trotz solcher Gewaltfantasien bleibt es im Glasbiergeschäft eben-

so friedlich wie bei der „Revolutionären Mai-Demo“.

Und das ist doch schon mal was.

* alle mit Sternchen versehenden Begriffe lassen sich für ahnungslose Interessierte leicht

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25. Juni

til mette