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12 I

TAL

IEN

WattLöpptin

NYC

vonStephenOldvoodel

U r a n u s , M y a n u s , B . F . F . a n d R . B . F . :

W e l c o m e B a c k t o S c h o o l

Der erste Septembermontag eines jeden Jahres ist in den USA das offi-

zielle Sommerende und mithin auch das Ende der Sommerferien für die

schulpflichtigen Kleinen. Individuell durchweg Engel, so jedenfalls die

verbreitete Ansicht unter den Eltern, können Kinder im Verbund schon

mal gehörige Nervensägen sein. Davon wissen Lehrer ein Lied zu singen

und mit jedem neuen Schuljahr beginnen sich entsprechende Hilferufe

von Berufspädagogen in den Niederlassungen des New Yorker schulpsy-

chologischen Dienstes zu häufen. Da gibt es uralte, aber nicht tot zu

kriegende Scherze, die in der Regel von den letzten Bänken der Klassen-

räume aus das Lehrpersonal immer wieder den Tag verfluchen lassen,

an dem die Prügelstrafe an Schulen abgeschafft wurde. Irgendwo in den

Lehrplänen von Klasse fünf bis sieben muss zum Beispiel einmal ein

Wort zu unserem Sonnensystem verloren werden, vielleicht auch zwei.

Von der Sonne aus gesehen auf der siebten Umlaufbahn zieht der 1781

von William Herschel entdeckte Uranus seine Bahn. Astronomen finden

ihn als sogenannten Eisriesen vor allem wegen seiner vielen Monde und

dem ausgeprägten Magnetfeld interessant. Kinder in englischsprachigen

Ländern finden Uranus vor allem tierisch lustig, weil der dem griechi-

schen Himmelsgott Ouranos entlehnte Planetenname bei Betonung der

vorletzten Silbe eine Assoziationskette nahelegt, die das American Muse-

um of Natural History in Manhattan nach Jahren kindlichen Gekichers

dazu bewegt hat, in allen Darstellungen unseres Sonnensystems auf Ura-

nus zu verzichten. “Which is bigger, Uranus or Myanus? Is there life on

Uranus?”, vermeintlich unschuldige Fragen dieser Art und das beinahe

notwendigerweise folgende Gelächter der Klassen bringen Lehrer regel-

mäßig wieder zur Verzweiflung, trotz oder vielleicht auch wegen päd-

agogischer Hochschulen. Da muss der Lehrer oder die Lehrerin durch

und unter günstigen Umständen werden sie dann sogar von einzelnen

Schülern in den Adelsstand des b.f.f. erhoben, des best friend forever.

Damit zeichnen einander vor allem amerikanische Schülerinnen aus, so

wie man früher vielleicht das Privileg des ersten Eintrags in das Poe-

siealbum vergeben hat. Anders als diese Seite ist b.f.f. allerdings in den

vergangenen Jahren eher ein Wanderpokal, dessen Verleihungsgrund oft

die Sommerferien nicht mehr überlebt und bei einigen Schülern etwas

auszulösen vermag, das nun Schulpsychologen vermehrt auf den Plan

ruft und das mit dem Akronym r.b.f. abgekürzt wird: r.b.f. für “resting

bitch face”. Kristen Stewart, January Jones, Victoria Beckham, sie alle

haben vor allem bei Schülerinnen ein Gesicht überaus populär gemacht,

das versucht, möglichst weitgehende Ausdruckslosigkeit mit heftiger in-

nerer Abneigung gegen dies oder das zu kombinieren. Nichts wird auf

New Yorker Schulhöfen derzeit intensiver eingeübt, nichts treibt Leh-

rerinnen und Lehrer derzeit mehr zur Verzweiflung. “I‘m not mad. It‘s

just my r.b.f.”. “Ich bin nicht sauer, das ist nur mein r.b.f.” Bei astrono-

mischen Witzeleien gab es wenigstens noch Gelächter, aber so ein r.b.f.

glättet jeden Anflug von Heiterkeit. Jungs können das mittlerweile auch.

Hier sind die Vorbilder aber eher der nicht alt gewordene James Dean

oder der junge Marlon Brando. Die Gefahr beim männlichen r.b.f. liegt

für den Ausführenden aber in der Nähe des Sex-Appeals, der Coolness

und da muss man schon länger für trainieren, da nicht in diese Falle zu

tappen und falsche Punkte beim Lehrpersonal zu machen. Die weibli-

che Form des Ausdrucks ist da deutlich auf der Sex-abgewandteren Seite

– wer würde schon bei Mona Lisa als der Urform des weiblichen r.b.f.

unkeusch denken. Tröstend mag das für Lehrerinnen und Lehrer der-

zeit vielleicht sein, hilfreich sicherlich nicht. Nun gehört allerdings ein

Mindestmaß an Disziplin zum r.b.f. und das scheint wie so oft die Achil-

lesferse der Pose zu sein, zu mindest im Klassenverband. Der als “best

practice” derzeit vom schulpsychologischen Dienst empfohlene Trick ist,

den drei oder vier r.b.f. praktizierenden Gören in den ersten Reihen des

Klassenraums eine grölende Mehrheit im Rücken zu verschaffen. Das

geht immer noch erstaunlich gut mit den zahllosen Variationen zum

Thema “unser Sonnensystems”. Gruppendynamische Prozesse infolge

einer von Lehrerinnen oder Lehrern an ein r.b.f. gerichteten Frage “is

there life on Uranus?” lassen in der Regel wieder Leben in die erstarrten

Gesichtszüge kommen. In den wenigen Ausnahmen geht es halt zum

Schulleiter.