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12 I

TAL

IEN

WattLöpptin

NYC

vonStephenOldvoodel

T h e M a n s p r e a d :

Das Ende des Bummelstreiks der New Yorker Polizei

Bürgermeister Bill de Blasio hat es im Moment wirklich nicht

leicht. Er war unter anderem mit dem Versprechen angetreten, das gelegent-

lich gespannte Verhältnis der uniformierten Gesetzeshüter in der Stadt zu

Bürgerinnen und Bürgern wieder ins rechte Lot zu bringen, und ständig

kommen ihm dabei irgendwelche Scherereien in die Quere, für die er zwar

nichts kann, für die er aber verantwortlich gemacht wird. Im Kreuzfeuer

eines Scharmützels zwischen Bürgerrechtsbewegungen und Polizeigewerk-

schaften sah sich de Blasio schließlich mit der Situation konfrontiert, dass

auf einer Gedenkfeier für zwei erschossene Polizisten ihm die uniformier-

ten Kollegen während seiner ansonsten garnicht so bemerkenswerten An-

sprache allesamt den Rücken und Hintern zudrehten.

Ein gefundenes Fressen für die Bildmedien und der berühmte

Tropfen, der das Fass aus Sicht des Bürgermeisters zum Überlaufen brachte.

Er twitterte noch am selben Tag eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen

hatte, und begossenen Pudeln gleich reagierte die überwiegende Mehrheit

des New York Police Departments wie ungezogene Blagen, nämlich ebenso

verbockt wie beleidigt. „Dann seht ihr mal, was ihr davon habt”, quengelten

sie und machten nur noch Dienst nach Vorschrift, will meinen, sie beließen

bis kurz vor „Strafvereitlung im Amt” ihre Strafzettelblöcke in den Gesäß-

taschen und fuhren ihre Arbeitszeiten zwar mit Blaulicht und Martinshorn,

aber im Grunde ziellos ab. Knöllchenzahlen sanken gegen null, Schwarzfah-

rern blieben Übernachtungen im Untersuchungsgefängnis erspart, öffentli-

cher Alkoholkonsum wurde nicht gleich mit Handschellen auf dem Rücken

geahndet: New York erlebte zwischen den Jahren beinahe paradiesische Zu-

stände. Die Vertreibung aus dem Paradies erfolgte dann aber nicht wegen

eines (Granat)-Apfels, sondern als Echo auf den Erfolg einer dem Ursprung

nach eigentlich als Happening gedachten Aktion. Der Avantgarde in New

York waren zwei Jahre nach dem Ausbleiben des Millenium-Bugs vielleicht

die Ideen knapp geworden. In drei Wohngemeinschaften des East Village

heckte man aus, einmal im Jahr ohne Beinbekleidung mit der U-Bahn zu

fahren, um die Gesellschaft im Allgemeinen mit ihrer verlogenen Scham

zu konfrontieren und somit auf eine bessere Zukunft hinzuwirken. Dass

der Gedanke vielleicht eine Schnapsidee sein könnte, zumindestens aber

nicht sonderlich originell, dämmerte den Avantgardisten vermutlich nicht,

es wäre ihnen in jedem Fall aber egal gewesen. Sie ließen mit dem „No Pants

Subway Ride” Taten folgen, zunächst unbeachtet, ab 2006 immerhin mit

regelmäßigen Festnahmen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und

seit 2012 auch mit Nachahmern in anderen Metropolen dieser Welt. Mitt-

lerweile berichtet sogar Der Spiegel.

Für sich genommen wäre der „No Pants Subway Ride” der hie-

sigen Polizei im Bummelstreik nun ziemlich schnuppe gewesen und die in-

zwischen auf mehrere Hundert angeschwollene Zahl von Verhaftungsmög-

lichkeiten wegen „disorderly conduct” wäre am 11. Januar 2015 ungenutzt

geblieben. Es kam anders. Auf der Suche nach Beispielen für behebbare

Unvollkommenheiten der Welt kann man in New York City auf so einiges

stoßen. Horrend hohe Mieten fiele da manchem sofort ein.

Nach wirklich langen Überlegungen ist man hier aber darauf

gekommen, das Sitzen in Bussen und U-Bahnen mit nicht übereinander

geschlagenen Beinen für die Wurzel so manchen Übels zu halten. Die mo-

nierte Sitzpositur ist deutlich geschlechtsspezifisch und heißt nach dem

Geschlecht der Missetäter „Manspread”. Die entsprechende Gruppe zur

Bekämpfung des Übels – „New Yorker Against the Manspread” – hätte

auch ohne soziale Medien wohl über Nacht Divisionsstärke erreicht gehabt

und kein Zugabteil entgeht mehr den kritischen Blicken dieser neuen Bewe-

gung. Der Manspread, also das Sitzen mit gespreizten Beinen, sei nicht nur

eine ästhetische Zumutung und nehme anderen Nutzern öffentlicher Ver-

kehrsmittel den Platz weg, es sei vielmehr auch ein kaum zu übersehendes

Zeichen für Machismo, Gewalt, Atomkrieg und Völkermord. Wehret den

Anfängen!

Am 11. Januar überlagerten sich in der „No Pants Subway Ride”

und die „New Yorker Against the Manspread”. Avantgardisten wurden von

der Polizei unbehelligt auf den Bahnsteigen zu Hosenlosen (frz. Sansculot-

ten) und gelangten mit vive-la-revolution-Geschrei in die U-Bahn-Abteils,

wo sie auf höchst sensibilisierte Manspread-Gegner trafen, die schon bei

dem Gedanken hysterisch wurden, dass sie Augenzeuge eines hosenlosen

Manspread werden könnten. Die ausgelösten Notbremsungen brachten den

U-Bahn-Verkehr am frühen Nachmittag zum Erliegen. Am späten Nach-

mittag hatten sich Bürgermeister und Polizeigewerkschaften angesichts der

Gefahr im Verzuge auf eine Beilegung des Bummestreiks geeinigt und am

Abend wurden mehrere Dutzend Sansculotten ihren Haftrichtern vorge-

führt. Die Welt ist seither wieder im Lot, nur muss man höllisch aufpassen,

wie man sich in der U-Bahn hinsetzt. Als Mann steht es sich vielleicht bes-

ser. Ansonsten gäbe es vielleicht zu hören: „Dude, close your legs!”