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TAL
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DIEDERICHS „THE BERLIN NOT-BOOK“
F r a u e n t a u s c h i m G l a s b i e r f a c h g e s c h ä f t
Nein, ihr Lüstlinge! Das Glasbierfachgeschäft ist kein Swin-
ger-Club!
Vielmehr geht es darum, dass die dortigen Mädchen Platz für Neues in
ihren Kleiderschränken brauchen und somit beschlossen haben, den bis-
herigen Inhalt untereinander umzutauschen und die verbleibenden Reste
sozial engagiert zu verspenden.
Eines Samstagnachmittags sieht es darob im Glasbierfachge-
schäft aus wie bei Woolworth auf dem Grabbeltisch: Berge von Röcken,
Blusen, Pullovern, Hosen, vereinzelten Handtaschen und Schuhen tür-
men sich auf den Kneipentischen. Und nahezu viertelstündlich kommt
Neues hinzu – Unterwäsche indes fehlt. Anders als der Berichterstatter
reagieren die anderen Jungs mehrheitlich verwirrt auf die plötzliche
Kaufhaus-Atmosphäre am Tresen und verziehen sich auf die Draußen-
bänke. Arme Wichte! Sie wissen gar nicht, was sie da versäumen.
Eifrig, liebevoll und mit Sachkunde halten sich die Damen
gegenseitig die Blüschen an, verwerfen Gedanken oder verschwinden in
den Anproberaum des Damenklos. Bei den unterschiedlichen Größen
und Gewichten der beteiligten Mieder kann so was ein anstrengendes
Gerenne sein. Der Hauptstadtkorrespondent von ITALIEN, dem Wo-
manizer-Magazin in Traumgröße 34, bietet an, seine Joppe als Umklei-
dekabine aufzuhalten. Der gutgemeinte Vorschlag wird abgelehnt; das
Gerenne geht weiter. Doch nur Regina B. aus Rheda-Wiedenbrück hat
genug Arsch in der Hose, um sich in ihrer neuen Kluft zwecks Begutach-
tung in der internen Öffentlichkeit zu drehen. Und siehe da, das ohnehin
nicht unattraktive Popöchen hat sogar noch dazu gewonnen. Anders als
aus den Punkt-Aus-und-Schluss-Verkäufen der 1950er und -60er Jahre
überliefert, bleiben Damenringkämpfe aus. Das Ding iss ihr´s!
Heike M. hat eine andere Methode ihre richtige Größe her-
auszufinden. Als ein fröhliches Röckchen sowohl ihr Interesse wie auch
Zweifel erregt, legt sie sich den Saum kurzerhand um den Hals. „Ich
glaube nicht, dass Dein Hals- und Hüftumfang korrespondieren“, be-
zweifelt der Chronist das Unterfangen. Doch es klappt nicht nur, es gibt
sogar noch einen weiteren Knopf zum Hineinwachsen. Wieder mal was
dazu gelernt! Auch die kleine, zierliche Mia F. findet so dies und das und
postet es umgehend im großen www. Und während all dies geschieht
und Beate P. aus Wuppertal-Cronenberg sich eine schicke Tasche findet,
um auch diese noch voll zu packen, schwirren Fachgespräche durch den
Raum: „Ach nein, die Farbe steht dir nicht“, „Tati, wo ist noch mal das
Spitzenkleid“, „Oh, das ist Norwegisch“, und so ähnlich immer weiter.
Inzwischen greifen auch Touristinnen ins Gewühle. Ist das jetzt Laden-
diebstahl?
„PAPADAM, PAPADAM“, betritt der muntere Inder den
Raum. „Das wird heute nix“, weist der ITALIEN-Mann auf den Fut-
tertisch für erschöpfte Tauschrauschseelen. „Ahh! Isse Hochzeit“, strahlt
der Verkäufer dünn frittierter Fladen aus Linsenmehl, stellt seinen Ver-
kaufskorb in die Ecke und greift beherzt zu. Jetzt und hier hat er seine
Integration erfolgreich gemeistert. Und was geschieht mit all dem Zeugs
das am Ende übrig bleibt? Das geht an die Kleiderkammer der Obdach-
losenhilfe!
Da wird deren weiblicher Anteil demnächst aber ganz schön schick daher
kommen.
„Haste mal nen Euro“ könnte da schwierig werden.
rattelschneck