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TAL
IEN 11
B I L D E R , D I E W I R N I C H T V E R S T E H E N
V O N E R N S T K A H L
Überraschend verlangte die Regierung vom Amt für Grapheo-
logie, ein Werk wider die allgemeine große Ratlosigkeit der Bevölkerung
zu verfassen. Es sollte ein praktischer Ratgeber in allen ausweglosen
Lebenslagen erstellt und preisgünstig in Umlauf gebracht werden. Das
ging weit über die traditionellen Aufgaben des Amtes hinaus und stürzte
dessen Belegschaft ihrerseits in Ratlosigkeit. Die Redaktion eines sol-
chen Ratgebers setzte große Weltklugheit und Lebensweisheit voraus. Es
mussten sämtliche Ratlosigkeit erzeugenden Probleme erfasst und mit
probaten Lösungsvorschlägen versehen werden. Die mit der Durchfüh-
rung Betrauten sahen sich einem schier unlösbaren Problem gegenüber.
In der Folge uferte das Projekt gewaltig aus. Überall wucherten Verwei-
se, Fußnoten und Fortsetzungen. Schon der Haupttitel geriet so lang,
dass er weiter hinten im Buch fortgesetzt werden musste. Mit dem Im-
pressum ging es ebenso. Die Ausführlichkeit sowohl der Widmung als
auch ihrer Begründung und das fünfzigseitige Register machten weitere
Unterbrechungen, Einschübe und Anmerkungen unumgänglich. Nicht
wenige Quer- und Mehrfachverweise waren darunter.
Ein halbes Jahr später wurde noch immer am Konzept des
hochkomplizierten Umbruchs gefeilt. Zur Erarbeitung der Lösungsvor-
schläge war man indes noch nicht gekommen. Die Amtsleitung hatte
neuerdings vorgeschlagen, ein Extrakapitel einzufügen, welches die Um-
stände schildern sollte, unter denen das Werk entstand.
Nach einem weiteren Vierteljahr begann der arbeitsbedingte
Druck unerträglich zu werden. Die Regierung mahnte die Fertigstellung
und das Erscheinen des Ratgebers an und drohte, den Laden auffliegen
zu lassen, falls es noch länger dauern sollte. Gleichzeitig bestand die
Amtsleitung auf einer konzeptionellen Änderung: Das Buch müsse so
angelegt werden, dass es nicht nur unter dauerndem Hin- und Herblät-
tern, sondern genauso gut auch linear gelesen werden könne. Darüber
vergingen abermals schwere, entbehrungsreiche Wochen.
Das Arbeitsklima wurde allmählich unerträglich. Das ver-
fluchte Projekt drohte alle umzubringen. Abermals musste der gesamte
Umbruch geändert werden, neue Verweise und Fußnoten waren nötig
geworden. Noch immer war kein einziger praktischer Ratschlag formu-
liert. Manche Kollegen erlitten bereits langanhaltende Weinkrämpfe.
Schließlich wurde das Kapitel über die Entstehungsgeschichte des Rat-
geberwerks wieder gestrichen, da niemand mehr daran erinnert werden
wollte.
Und dann wurde auch noch das Gebäude, in dem das Amt
untergebracht war, von Grund auf saniert. Wieder und wieder mussten
die Mitarbeiter in höhergelegene Büroräume ausweichen. Es wurde zu-
sehends schwieriger, funktionierende Stromanschlüsse und Toiletten zu
finden. Bald war das Amt für Grapheologie unter dem Dach angelangt.
Elektrischen Strom gab es keinen mehr, und die Belegschaft musste ihre
Notdurft in die Regenrinnen verrichten.
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