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TAL
IEN
D i e m e n s c h l i c h e S p e z i e s a m A b e n d
v o n E u g e n E g n e r
Zwei Frauen, ein Mann, ein Mysterium: Wo kommen plötzlich diese Außerirdischen her, die wie Kinder aus-
sehen?
Einst lebte ich in einem gemeinsamen Haushalt mit zwei Frauen, Gadrobe und Kanone. Die beiden fanden
mich wegen meiner Lebensweise seltsam, denn ich versteckte mich vor der Welt. Eines Abends wollte ich über-
prüfen, ob die menschliche Spezies noch existierte, verließ mutig mein Zimmer und überquerte den Flur. In der
Küche traf ich auf Gadrobe, sie saß schon wieder essend am Tisch.
„Nach dem Abendessen habe ich etwas gekocht“, erklärte sie. Ich nickte und merkte an, wie unerschwinglich
teuer es sei, sich zu ernähren. Wie um meine Worte zu bestätigen, erinnerte sich Gadrobe: „Mutter Natur sagte
einmal zu mir: Ich bezahle doch keine 3.000 Rubel für eine Dose Linsen! Ihre Agenten standen an der Straßen-
ecke und rissen sich um die Evolution.“
„Unvergleichlich!“, rief ich. „Du bist Poesie, Gadrobe! Poesie!“ Sie wechselte abrupt das Thema und fragte in
geschäftsmäßigem Ton: „Wie läuft unsere Aktion?“ Damit meinte sie unser im Handelsblatt veröffentlichtes
Angebot zur „Erhöhung der finanziellen Sicherheit“ mit dem Wortlaut „Machen Sie sich selbst ein Weihnachts-
geschenk und überweisen Sie uns bis zu 180.816,60 Euro.“
„Die Sache stagniert“, antwortete ich, „wir stoßen auf Widerstand. Wie du weißt, wird die Welt von schlech-
ten Menschen dominiert.“ Gadrobe erwiderte: „Um voranzukommen, bedarf es der Gabe, sich seine Feinde
in formalingefüllten Glasbehältern vorstellen zu können.“ Die letzte Silbe war kaum verklungen, als Kanone
mit wirrem Haar hereinkam. Sie trug ihren zerfetzten Schlafanzug und wirkte bekümmert. „Das Puppenspiel
gegen Dänemark musste kurz nach dem Startschuss abgebrochen werden“, klagte sie, „wo finde ich Trost?“
Gadrobe erbarmte sich: „Guck mal hier: eine Handpuppe, am Glassturz für Küchenflüche riechend. Kann
dich das aufrichten?“ Weil meine Gegenwart nun überflüssig war, begab ich mich in den gefährlichen Raum
außerhalb des Hauses. Indem ich die unter dem Begriff „Gehen“ bekannt gewordene Fortbewegungstechnik
anwandte, kam ich zu einem Haus, dessen Besitzer dabei war, seinen Familiennamen in noch vom Weltall aus
lesbaren Riesenlettern aufs Dach zu malen. Ich wollte den Mund öffnen, um ein tiefgründiges Gespräch mit
ihm zu führen, da landete plötzlich ein kleines Raumschiff in dem an Zierrat reichen Vorgarten. Zwei ganz und
gar irdische Kinder kamen aus einer Luke und stritten gut verständlich über typische Kinderangelegenheiten.
Dann begaben sie sich an Bord zurück und flogen so schnell, wie sie erschienen waren, wieder fort.
Was für ein unglaubliches Erlebnis! Wir hatten leibhaftige Außerirdische gesehen! Dass sie wie menschliche
Kinder gewesen waren, fand ich zwar enttäuschend, aber immerhin – es gab sie! Aufgeweichten Verstands
kreischte ich von kosmischer Offenbarung und Anbruch eines neuen Zeitalters. Der sein Dach beschriftende
Mann erklärte mir lachend, das alles sei nur inszeniert worden, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass
meine Krankenversichertenkarte bald ablaufen würde.