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I

TAL

IEN 7

B I L D E R , D I E W I R N I C H T V E R S T E H E N

V O N E R N S T K A H L

Wenn der ökonomische Druck hoch ist, kann es nicht gut sein, sich

passiv durchs Leben treiben zu lassen. Da hilft auch keine Stellvertreterin.

Mit Anfang dreißig begann ich unter dem Eindruck der unbefriedigenden

Entwicklung meiner Einkommensverhältnisse, eine Versorgungsehe mit ei-

ner wohlhabenden Frau anzustreben. Alles dazu Notwendige wurde über ein

einschlägiges Institut abgewickelt. Es konnte schließlich die – in finanzieller

Hinsicht – richtige Frau für mich gefunden werden. Weil es ausschließlich um

ihr Geld ging, legte ich keinen Wert auf persönliches Kennenlernen, und so

wurde die Ehe auf schriftlichem Wege geschlossen.

Ich wähnte mich am Ziel und bereitete die Kündigung meines

Arbeitsverhältnisses vor. Da geschah etwas Folgenschweres. Durch einen

Computerfehler war die Frau, mit der ich soeben vermählt worden war, erst

zwei Jahre alt. Die Ehe wurde daraufhin annulliert – aus war es mit meiner

Versorgung.

Ich verklagte die Verursacher der Computerpanne auf Schadens-

ersatz und erreichte, dass mir per Gerichtsbeschluss eine freiwillige Stellver-

treterin zugeteilt wurde, mit der ich eine eheähnliche Beziehung unterhalten

konnte. Sie wurde von der unterlegenen Partei nach Tarif bezahlt und war

nicht vermögend. Also musste ich weiterarbeiten. Den Mut, nochmals eine

Versorgungsehe anzustreben, brachte ich nicht auf. Ich besuchte die Stellver-

treterin an den Wochenenden, und wir verbrachten die Zeit in ihrer kleinen

Wohnung.

Vor vier Jahren wurde ich von meinem Arbeitgeber gezwungen,

Trendartikel auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik zu entwickeln. Da-

für konnte niemand unzuständiger sein als ich. Von Elektronik hatte ich nicht

nur keine Ahnung, sondern verabscheute sie sogar. Aus finanziellen Gründen

war es mir jedoch unmöglich zu kündigen.

Irgendwo hatte ich gelesen, in hoffnungslosen Lagen sei es rat-

sam, sich passiv treiben zu lassen, weil man dann durch unbewusste Pro-

zesse zum Ziel geführt werde. Ich schaltete meinen bewussten Willen aus.

Bei einem meiner infolgedessen plan- und ziellosen Gänge durch die Stadt

entdeckte ich im Schaufenster eines stark heruntergekommenen Hi-Fi- und

Fernsehtechnikgeschäfts den offenbar vor sehr langer Zeit handschriftlich

verfassten Aufruf: „Herbei, herbei, wer Elektronik lernen will!“ Die Ladentür

war allerdings verschlossen. Auf der beschädigten Leuchtreklame stand eine

Rufnummer, unter der sich nie jemand meldete, so oft ich sie wählte. Als ich

Tage später noch einmal zu dem Laden ging, sah ich mich mit Leerstand kon-

frontiert.

Meine unbewusste Steuerung hat mich seither, was die Erledigung

meines Auftrags betrifft, nicht weitergebracht. Sie bewirkt nur, dass ich mor-

gens lange schlafe und schon seit vier Jahren nicht mehr zur Arbeit gegangen

bin. Dort scheint mich niemand zu vermissen, denn mein dürftiges Gehalt

wird nach wie vor jeden Monat überwiesen. Die freiwillige Stellvertreterin hat

sich versetzen lassen, ohne dass mir vom Gericht eine neue zugeteilt wor-

den wäre. Mir ist das alles recht, solange ich zu Hause bleiben kann und fürs

Nichtstun ein wenig Geld bekomme.

D i e V e r s o r g u n g s e h e

v o n E u g e n E g n e r