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TAL
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WattLöpptin
NYC
vonStephenOldvoodel
Keine 5 Minuten
zu Fuss!*)
*) vom Cinema!
W h i s k e y Ta n g o F o x t r o t ( W T F )
Don Robinson ist Steuerberater. Steuerberatung ist in den
USA ein saisonales Geschäft mit extremen Spitzenzeiten um den 15. Ap-
ril eines jeden Jahres herum. Der 15. April heißt „Tag der Steuern” und
ist der Termin, zu dem jeder seine Steuererklärung bzw. seinen Lohnsteu-
erjahresausgleich gemacht haben muss. Da kennt der Ami keine Gnade.
Die Saison beginnt im Januar, dann, wenn die ersten Verdienstbeschei-
nigungen, Einkommensnachweise, Spendenquittungen und dergleichen
eintrudeln, Papiere also, aus denen Menschen wie Don ein für das Fi-
nanzamt plausibles Narrativ stricken, das wiederum die Steuerschuld
berechnet. Das Stricken plausibler Steuernarrative ist zwar mittlerweile
– wie so vieles im Leben – computergestützt, doch es erfordert immer
noch menschliche Handarbeit. In der Saison beschäftigt Don dafür ein
gutes Dutzend Saisonarbeiter, die ihm und seinen drei festangestellten
Mitarbeitern mit auf vier Monate befristeten Arbeitsverträgen ausgestat-
tet unter die Arme greifen. Der Platzbedarf der Firma Don Robinson
TaxGuys schwankt somit erheblich. Bis vor einem Jahr hatte Don gegen
Ende April eines jeden Jahres seine liebe Mühe, Untermieter für seine
ab Mai im wesentlichen brachliegenden Büroflächen zu finden. Als nun
im vergangenen November der alte Mietvertrag für seine Geschäftsräu-
me gegenüber dem großen Postamt an der 8th Avenue und 33rd Street
auslief, entschloss er sich, den Sprung in die Moderne zu wagen. Moder-
ne, das bedeutet in der Fertigung von komplexeren Produkten vor allem
„just in time”: Die Teile werden pünktlich zum Zeitpunkt des Bedarfs
in die Montage geliefert und auf dem Weg zur Montage auf Kosten des
Lieferanten „gelagert”. Übertragen auf den Dienstleistungssektor bedeu-
tet Moderne, dass vieles, was zur Dienstleistung gebraucht wird, „just in
time” gekauft wird. Das ist zwar auch schick, doch sind die wirklichen
Triebkräfte betriebswirtschaftlicher Natur. Darum ist die Moderne im
Dienstleistungssektor vor allem dort zu Hause, wo Büroraum sehr sehr
teuer ist, also zum Beispiel im Wall Street-Viertel in Manhattan.
Zwei Minuten zu Fuß vom spektakulären Calatrava-Bahnhof
am World Trade Center und gleich gegenüber vom U-Bahn-Knoten
Fulton Street wurde Don bei seiner Suche nach neuen Büros fündig.
222 Broadway, 19. Etage heißt es nun auf seiner Webseite. Wenn man
zu einem Termin kommt, meldet man sich unten bei einem der zwei
Dutzend Rezeptionisten an und wird von einer freundlichen Person (ver-
mutlich Leichtlohngruppe) abgeholt. Es geht zu wie in einem Bienen-
stock, Firmenschilder sucht man vergeblich und anders als in einem Bie-
nenstock gibt es auf der Etage zentrale Einrichtungen zum Ausschank
von Warm- oder Kaltgetränken (auch Bier), Besprechungsräume, War-
te- und Ruhezonen. Außen rum angeordnet, Bienenwaben gleichend,
dann die Arbeitsräume. Von denen mietet Don drei das ganze Jahr über
und von Januar bis April noch mal 10 dazu. Sein Vermieter ist die Fir-
ma „Whiskey Tango Foxtrot” (WTF). Sie hat en gros 20 Etagen in 222
Broadway gemietet und vermietet en detail an interessierte Dienstleis-
tungsunternehmen wie Don Robison TaxGuys. Die Preisstruktur von
WTF ist simpel. Es gibt Fläche mit oder ohne Arbeitskraft. Die Ge-
währleistung bei der Arbeitnehmerüberlassung ist eher beschränkt, doch
die Flächen kommen mit garantiertem Schnick-Schnack: Fünfmal pro
Woche Putzen und Mülleimerleerung, symmetrische 20Mbit/sec Inter-
netverbindung, 10 Terrabyte Speicher auf dem Server, Client-Support,
frischer Kaffee rund um die Uhr und am ersten Freitag im Monat ein
Kicker-Turnier. Unter‘m Strich sind die Bürokosten für Don trotz des
modernen Schicks sogar noch gesunken und er braucht selbst auch nicht
mehr in die traurigen Augen zu schauen, die Empfängern von viermo-
natigen Arbeitsverträgen regelmäßig zu eigen sind. Don bucht seinen
zusätzlichen Bedarf an Bürofläche bemannt, denn kompliziert sind die
Hilfstätigkeiten nicht. Ja, die Moderne ist bisweilen zynisch, aber im-
merhin geht man in New York offensiv damit um. Der Firmenname
„Whiskey Tango Foxtrot” ist der Sprache des Militärs entlehnt, dem
Jargon der GIs, der stinknormalen Infanteriesoldaten. Da muss man
in den USA beim Buchstaben „F” genauso auf der Hut sein, wie im
Umfeld der Bundeswehr bei der Kombination „Sch”. SNAFU entspricht
in etwa AschDE, also „Situation Normal All Fucked Up” ähnelt dem
„Alles Scheiße, Deine Erna”. „Whiskey Tango Foxtrot”, so würden die
Buchstaben WTF von der Flugüberwachung ins Mikrophon gemurmelt.
WTF steht für „What the Fuck”.